Argentinien

Was von der Mileimanía übrig bleibt

Umstrittener Besuch: Argentiniens Präsident Javier Milei im Februar an der Westmauer in Jerusalem Foto: Flash 90

Mileimanía – dieses Wort erfand die konservative argentinische Tageszeitung »La Nación« für den Trubel rund um den Besuch von Javier Milei, als der jüngst die Kotel in Jerusalem besuchte. Viele Menschen, vor allem argentinisch-stämmige Israelis, hätten den neuen Präsidenten dort begeistert empfangen, hob das Blatt hervor.

Dazu druckte es ein bewegendes Foto: der Rechtslibertäre weinend am heiligsten Ort der Juden – umarmt von seinem geistlichen Berater, dem orthodoxen Rabbiner Axel Wahnish, den Milei als Botschafter nach Israel entsandt hat.

Ganz anders ordnete die linksgerichtete argentinische Zeitung »Página 12« Mileis dreitägigen Besuch in Israel ein: Die Staatsvisite des 53-jährigen Argentiniers sei dort kaum bemerkt worden. Der Mann mit der wilden Frisur sei höchstens als »skurril« aufgefallen. Und es wurde auch die scharfe Kritik des in Israel lebenden argentinischen Journalisten Pablo Méndez Shiff an Milei zitiert: Der Politiker benutze die Juden, ihre Schriften und Symbole, und er habe sich orthodoxen Strömungen angenähert, um »seine rückschrittlichen Haltungen durch die angebliche Lektüre der Tora« zu rechtfertigen.

Fragt man den jüdischen Soziologen Damián Setton in Buenos Aires, sagt dieser, der Katholik Milei benutze das Judentum zwar nicht »auf machiavellistische Weise«, aber er habe seine Affinität zu dieser Religion zu einem Teil seines öffentlichen Images als Präsident gemacht. Zum allerersten Mal spiele das Jüdische eine solch hervorgehobene Rolle in der argentinischen Politik, betont Setton, der als Forscher für den nationalen Wissenschaftsrat CONICET tätig ist.

Allerdings demonstriere Javier Milei seine Sympathie für das Judentum vor allem auf emotionale Weise – etwa durch seine Tränen an der Westmauer – und nicht etwa durch die Einhaltung religiöser Vorschriften: »Milei hat nicht seine Küche koscher gemacht, das wäre eine viel stärkere Verpflichtung gegenüber dem Judentum«, meint Setton. Der Präsident selbst hat vor Kurzem erklärt, dass seine angekündigte Konversion wohl noch warten müsse, schließlich wäre es ihm in seiner jetzigen Funktion unmöglich, die Schabbat-Ruhe und andere Vorschriften zu befolgen.

»Eine Provokation, die Konsequenzen haben könnte«

»Javier Milei ist kein Jude«, stellt Roberto Sandmann klar, ein jüdischer Rentner und ehemals mittelständischer Unternehmer aus Buenos Aires, der sich mit dem selbst ernannten »Anarcho-Kapitalisten« und seiner drastischen Sparpolitik in keiner Weise identifiziert. Es gibt aber auch argentinische Juden, die Mileis »Umarmung« des Judentums mit Stolz erfüllt.

Andere wiederum hätten Angst, dass, wenn sich Mileis Image verschlechtere, Feindseligkeiten gegenüber Juden zunehmen könnten, meint Setton. Sandmann plagt noch eine andere Sorge: Bei aller Solidarität mit Israel, die er persönlich empfindet, hält er es für einen großen Fehler, dass Milei in Israel versprochen hat, die argentinische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Das sei eine Provokation, die Konsequenzen haben könnte, eine Gefahr für die jüdische Gemeinschaft. Und Sandmann erinnert an die blutigen Attentate auf das Gemeindezentrum AMIA und auf Israels Botschaft in Buenos Aires in den 90er-Jahren, hinter denen der Iran vermutet wird.

Der neue argentinische Präsident hat ein klares politisches Zeichen gesetzt, indem er Israel als Ziel seines ersten Staatsbesuchs ausgewählt hat – und nicht, wie viele seiner Vorgänger, das große Nachbarland Brasilien. Setton sieht darin die Absicht, Argentinien eindeutig in der westlichen Welt und gegen den islamischen Fundamentalismus zu positionieren. Aber Milei übertreibe mit dem angekündigten Botschaftsumzug, kritisiert auch Setton.

So gut wie kein anderes Land plane, seine diplomatische Vertretung nach Jerusalem zu verlegen. Der Soziologe wagt die These, dass Milei womöglich Israel für den Aufbau seiner politischen Bewegung brauche. Der Politiker sei noch dabei, eine libertäre Identität zu konstruieren, und er hoffe wohl auf Israel als Referenz dafür, analysiert Setton.

»Milei und die jüdische Orthodoxie eint die Ablehnung der politischen Linken.«

Damián Setton

In Argentinien war das Verhältnis zwischen Milei und den Institutionen der jüdischen Gemeinschaft nicht immer ungetrübt. Im vergangenen Jahr stimmten er und seine Stellvertreterin Victoria Villarruel als Parlamentarier dagegen, den 18. Juli 1994, den Jahrestag des Bombenanschlags auf die AMIA mit 85 Toten, zum Staatstrauertag zu erklären. Der Dachverband jüdischer Gemeinden DAIA nannte es in einer Erklärung »beklagenswert«.

Milei versuchte dann, ohne Erfolg, sein Votum zu ändern. Spannungen gab es auch, als der Präsident ein hohes Regierungsamt mit einem Mann besetzte, der in seiner Jugend einer rechtsextremen Organisation angehört hatte. All dies sei jedoch durch Mileis klare Unterstützung Israels nach dem 7. Oktober in den Hintergrund getreten, so Setton. Er sieht die Beziehungen des Präsidenten zur DAIA und anderen jüdischen Organisationen heute als »gefestigt« an.

Sie vereint die Ablehnung der politischen Linken

Ein klares Signal dafür sei auch, dass Mileis erster öffentlicher Auftritt im Amt im Dezember auf einer Chanukka-Feier stattfand. Organisiert wurde diese von der chassidischen Organisation Chabad Lubawitsch. Wenige Wochen zuvor war Milei als frischgebackener Wahlsieger nach New York zum Grab des 1994 verstorbenen »Rebben« Menachem Mendel Schneerson gepilgert.

Um die Beziehung zwischen dem libertären Präsidenten und dem streng religiösen Judentum zu erklären, spricht Damián Setton von »Affinitäten«, die zwischen orthodoxen Juden und der neuen Rechten entstanden seien. Einen Politiker wie Milei und die jüdische Orthodoxie vereine die Ablehnung der politischen Linken, erklärt der Soziologe. Die Reise des Argentiniers zu Schneersons Grab habe nicht nur eine spirituelle Dimension gehabt, sondern sei der Besuch eines »Neo-Antikommunisten bei einem glühenden Antikommunisten aus der Zeit des Kalten Krieges« gewesen – und damit auch ein politischer Akt.

Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Natalie Rickli lehnte die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, 20 Kinder aus Gaza in der Schweiz aufzunehmen.

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