In den Niederlanden haben sich die Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung »De Volkskrant« bei ihren Lesern für eine von vielen als antisemitisch empfundene Karikatur entschuldigt. In der Ausgabe vom Montag hatte das Blatt einen jüdischen Unternehmer und Meinungsforscher als Manipulator dargestellt.
Auf einer düsteren Schwarzweißzeichnung ist Maurice de Hond zu sehen, einer der führenden Demoskopen des Landes, wie er mit zwei Marionettenstäben in der Hand finster entschlossen dreinblickt. Der 73-jährige de Hond ist Jude; viele Mitglieder seiner Familie starben in der Schoa.
Anlass für die Zeichnung war ein Interview mit den Machern eines Podcasts. In diesem wird behauptet, dass de Hond im sogenannten Deventer-Mordfall 2005 jahrelang öffentlich und ohne Beweise vorzulegen behauptet hatte, der wegen der Tat verurteilte Mann sei in Wahrheit unschuldig.
MORDFALL Mitte der 2000er Jahre setzte Maurice de Hond sich für die Wiederaufnahme des Falls ein. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen stellte er 2007 die Rolle der Staatsanwaltschaft infrage. Im gleichen Jahr wurde er zu einer Bewährungsstrafe sowie zu 100.000 Euro Schadenersatz an ein Paar verurteilt, welches de Hond nach Auffassung des Gerichts zu Unrecht beschuldigt hatte, in Wahrheit für den Mord verantwortlich gewesen zu sein.
Der Radiosender VPRO veröffentlichte im März diesen Jahres einen sechsteiligen Podcast über den Fall. Darin wurde auch die Rolle der Medien und vor allem de Honds kritisch beleuchtet.
Am Montag machte de Hond auf Twitter seinem Unmut über die Karikatur Luft und warf der Volkskrant vor, ihn bereits seit einiger Zeit »kaltstellen« zu wollen. Der ehemalige Vorsitzende der Arbeitspartei PvdA, Lodewijk van Asscher, fragte sarkastisch, wer bei der Volkskrant die Idee gehabt habe, diese »rüpelhafte« Karikatur so kurz vor dem 4. Mai zu veröffentlichen, an dem alljährlich der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht wird.
BEWUSSTSEIN Dem Karikaturisten und den beteiligten Redaktionsmitgliedern habe das historische Bewusstsein gefehlt, um die Ähnlichkeit mit antisemitischer Propaganda zu erkennen, schrieb die Tageszeitung am Montagabend. Vielleicht habe das auch am Alter der Mitarbeiter gelegen, die die Karikatur durchgewunken hätten, meinte Chefredakteur Pieter Klok. Auch der Karikaturist, Joost Halbertsma, entschuldigte sich: »Das ist ein Fehler meinerseits, ich hatte das historische Bewusstsein für den jüdischen Puppenspieler aus der Nazi-Propaganda nicht parat.«
Die eigentlichen Inspirationsquellen für seine Arbeit seien Underground-Comics, zum Beispiel die Arbeiten von Peter Pontiac, und Pulp-Comics aus den fünfziger Jahren, so Halbertsma. Von der Bildredaktion der »Volkskrant« hatte der Zeichner offenbar nur einen kurz umrissenen Auftrag erhalten: Man brauche etwas zur Illustration eines Interviews mit den Machern eines Podcasts. Diesen habe er sich dann zur Vorbereitung angehört.
»Ich dachte an einen EC-Comic von Al Feldstein«… »über eine manipulative Frau, die einen Mann in die Kriminalität treibt. Auf dem Titelbild der Geschichte spielt sie mit dem Mann wie ein Puppenspieler. Bei der Erarbeitung dieser Illustrationen habe ich den jüdischen Hintergrund von Maurice de Hond in keiner Weise berücksichtigt. Mein Ziel war es, ein karikiertes Bild zu schaffen, wie wir es aus den Comics kennen, um ein Bild der dunklen Medienmanipulation darzustellen«, zitierte die Volkskrant Halbertsma.
AUGEN Da die Zeichnung erst am Sonntagnachmittag in der Redaktion eingetroffen sei, seien nur wenige Redakteure anwesend gewesen, um die Problematik zu erkennen, erklärten die Volkskrant-Herausgeber. Darüber hinaus seien sie zum der Schlussfolgerung gelangt, dass künftig besser darauf geachtet werden sollte, vor Veröffentlichung »alle Abbildungen von mehr als nur einem Augenpaar« zu prüfen lassen.
Die Redaktion hat die Karikatur inzwischen von der Website der Zeitung entfernt. »Ich selbst habe sie leider erst heute Morgen gesehen«, sagte Chefredakteur Klok am Montag, »und ich habe gedacht, Mensch, was für eine hässliche Zeichnung«. mth