Internet

Warum die beiden Google-Gründer zurücktreten

Google-Gründer Sergey Brin (l.) und Larry Page Foto: dpa

Google-Chef Sundar Pichai übernimmt nach dem Rückzug der beiden Gründer aus dem Tagesgeschäft nun auch die Führung beim Mutterkonzern Alphabet. Die Gründer-Ära bei dem Internet-Riesen ist damit aber noch nicht endgültig vorbei: Larry Page und Sergey Brin, die Google vor mehr als 20 Jahren gründeten, behalten weitgehend das Sagen durch besondere Aktien mit mehr Stimmrechten. Zugleich zementiert die Doppelrolle von Pichai die Dominanz von Google innerhalb des Alphabet-Geflechts.

Page war zuletzt Alphabet-Chef, Brin hielt im Management einen Posten als »President« mit einem nicht näher beschriebenen Aufgabenbereich. Sie bleiben im Verwaltungsrat, der dem Vorstand übergeordnet ist. »Wäre das Unternehmen ein Mensch, wäre er ein junger Erwachsener von 21 Jahren - und es wäre an der Zeit, das Nest zu verlassen«, schrieben Brin und Page nun. »Wir glauben, dass es an der Zeit ist, die Rolle stolzer Eltern zu übernehmen, die Ratschläge und Liebe bieten, aber nicht täglich herumnörgeln!«

Schon seit Jahren war von Page kaum etwas zu hören, obwohl er an der Spitze von Alphabet stand.

Branchenbeobachter spekulierten bereits seit einiger Zeit über die Zukunft von Page: Der 46-jährige ließ sich kaum in der Öffentlichkeit blicken, auch nicht bei der Google-Entwicklerkonferenz I/O oder den internen Mitarbeiterforen. Er überließ Pichai bereits die Telefonkonferenzen mit Analysten nach Vorlage von Quartalszahlen - und auch unangenehme Anhörungen im US-Kongress. Gleichzeitig steckte Page Geld und Zeit in die Entwicklung kleiner Flugmaschinen, aus denen eines Tages Flugtaxis werden sollen.

ROBOTER Alphabet war 2015 als Konzerndach über Google gesetzt worden. Die Idee war, diverse neue Bereiche als eigenständige Schwesterfirmen neben Google aufzubauen. Zum Dachkonzern gehören zum Beispiel auch die Roboterauto-Firma Waymo und der Lieferdrohnen-Entwickler Wing. Vier Jahre später kommen die Einnahmen allerdings nach wie vor hauptsächlich aus dem Werbegeschäft von Google. Nur das Cloud-Geschäft und die Produktion der Pixel-Smartphones hinterließen in der Bilanz sichtbare Spuren. Die anderen Alphabet-Firmen mit ihren neuen Technologien erzeugen vor allem hohe Kosten bei geringen Umsätzen.

So kamen die Google-Geschäftsbereiche im vergangenen Quartal auf Erlöse von gut 40,3 Milliarden Dollar (36,3 Mrd Euro) - alle restlichen Alphabet-Firmen brachten in dieser Zeit 155 Millionen Dollar Umsatz ein. Dafür sammelten sich bei ihnen operativ rote Zahlen von 941 Millionen Dollar an, während Google fast 10,9 Milliarden Dollar verdiente. Die Aktie reagierte auf das Stühlerücken im nachbörslichen Handel mit einem kleinen Plus von 0,42 Prozent.

Page und Brin kommen beide aus jüdischen Familien. Brin stammt aus der Sowjetunion, Page aus einer alt eingesessenen amerikanischen Familie.

Der 47-jährige Pichai stammt aus dem südindischen Staat Tamil Nadu. In die USA kam er 1993 mit einem Stipendium für die kalifornische Elite-Uni Stanford, um Halbleiter-Physik zu studieren. Seine Eltern mussten in die Ersparnisse greifen, um für das Flugticket 1000 Dollar zusammenzukratzen. Es war mehr als ihr jährliches Einkommen, wie Pichai dem Magazin »Bloomberg Businessweek« erzählte. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Das erste Telefon bekam die Familie, als Sundar zwölf Jahre alt war.

HERAUSFORDERUNGEN Bei Google startete Pichai am 1. April 2004 - dem Tag, an dem der E-Mail-Dienst des Internet-Konzerns gestartet wurde, den auch er anfangs für einen der üblichen Aprilscherze der Firma hielt. Seine erste Aufgabe war die Arbeit am Google-Suchfenster in Browsern wie Firefox oder Microsofts Internet Explorer. Pichais Vorschlag, Google sollte einen eigenen Web-Browser entwickeln, überzeugte die Gründer - und der Erfolg von Chrome war seine Eintrittskarte in die Chefetage.

Page war mit der Gründung von Alphabet von der Google-Spitze in den Chefposten beim neuen Dachkonzern gewechselt. Pichai übernahm damals die Führung bei Google. Diesen Job wird er auch behalten.

Pichai muss Google und Alphabet durch eine schwierige Zeit navigieren. Der Internet-Riese steht - wie auch andere amerikanische Tech-Schwergewichte - unter verstärktem politischen Druck. Inzwischen nehmen auch die lange wohlwollenden US-Wettbewerbshüter Google ins Visier. In Europa verhängte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager bereits Strafen von mehr als acht Milliarden Euro gegen Google. Der Internet-Konzern steckte sie locker weg.

Jetzt bekommt Google-Chef Sundar Pichai auch die Führung bei der Mutter - in einer schwierigen Zeit für den Internet-Riesen.

In jüngster Zeit geriet Google aber auch mehrfach auf Kollisionskurs mit seinen Mitarbeitern. So lösten Medienberichte, wonach Andy Rubin, der führende Entwickler des dominierenden Mobil-Betriebssystems Android, trotz Vorwürfen sexueller Nötigung mit einer Abfindung von 90 Millionen Euro aus der Firma ausgeschieden sei, vor gut einem Jahr Proteste an diversen Google-Standorten aus. Rubin bestritt die Vorwürfe. Viele Mitarbeiter prangerten dennoch Sexismus im Unternehmen an, Page entschuldigte sich. Auch ein Software-Deal mit dem US-Militär sorgte intern für Ärger.

JÜDISCH Page war in der Anfangszeit Chef von Google, räumte dann den Platz für den erfahrenen Software-Manager Eric Schmidt und kehrte 2011 wieder an die Google-Spitze zurück. Die Alphabet-Mitteilung machte nun deutlich, dass die beiden Gründer keine Ambitionen haben, irgendwann noch einmal ins Management zurückzukommen.

»Wir gehörten nie zu denen, die sich an Management-Positionen klammern, wenn wir denken, dass es einen besseren Weg gibt, das Unternehmen zu führen«, verkündeten Page und Brin, die beide aus jüdischen Familien stammen.

1979 floh Brins Familie vor der anti-jüdischen Diskriminierung der Breschnew-Ära und ging in die USA.

Als die beiden einander an der Stanford Universität im Frühjahr 1995 begegneten, war schnell klar, dass sich hier zwei junge Männer mit ähnlichem Talent und Background gefunden hatten. Larry wurde 1973 in Michigan geboren und war durch seinen Vater Carl, einen angesehenen Informatikprofessor, und seine jüdische Mutter, eine Programmiererin, in Sachen Technik «vorbelastet». So zerlegte er regelmäßig die Elektrogeräte der Familie mit dem Schraubenzieher, um sie anschließend wieder zusammenzubasteln. Aus Legosteinen baute er sich seinen eigenen Tintenstrahldrucker.

Später war Larry dann in der Lage, die Computer im Rechenzentrum von Google selbst zu bauen. Ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil. Denn das Imperium von Page und Brin basiert nicht zuletzt auf den enormen Rechenleistungen einer maßgefertigten Computertechnologie.

MOSKAU Während Larry der geniale Erfinder ist und als etwas schüchtern gilt, ist Sergey der kühne Stratege, der Projekte vorantreibt und Leute von seinen Ideen zu überzeugen versteht. Sergey kam 1973 in Moskau zur Welt, wo sein Vater Michael für die Erstellung der berühmt-berüchtigten Fünf-Jahres-Pläne zuständig war. 1979 floh die Familie vor der anti-jüdischen Diskriminierung der Breschnew-Ära und ging in die USA.

Nach dem spektakulären Börsengang von Google im Jahr 2004 äußerte Michael Brin, der nun als Mathematikprofessor in Maryland arbeitet, gegenüber dem Time Magazin sein Erstaunen über die Karriere seines Sohnes. Er habe immer gehofft, Sergey trete mal in seine Fußstapfen und werde Wissenschaftler.

Das Paradoxe ist, dass die milliardenschwere Firma, deren Börsenwert schon seit Langem den von Disney, General Motors oder McDonalds übertroffen hat, bei Millionen von Surfern im Internet das Image eines grundsympathischen Projekts von Enthusiasten für Enthusiasten hat. Auch das ist ein Erbe der beiden Google-Gründer – vielleicht das Wichtigste.  (mit ja)

USA

Loyal und radikal

Der künftige Präsident Donald Trump vergibt wichtige Ministerposten an Personen, die bislang nicht durch Kompetenz aufgefallen sind, sondern eher durch Kontroversen von sich reden machten

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024

Nachruf

Der Vater des Budget-Tourismus ist tot

Arthur Frommer wurde 95 Jahre alt

von Imanuel Marcus  20.11.2024

New York/Malibu

»Mein Name ist Barbra«

Die Streisand-Autobiografie erscheint auf Deutsch

von Christina Horsten  20.11.2024

Schweiz

Konservative Christen gegen den ESC

Eine Minipartei erwirkt ein Referendum gegen das hohe Rahmenbudget für den Eurovision Song Contest. Dabei geht es auch um Israel

von Peter Bollag  19.11.2024

Italien

Schoa-Überlebende rügt Papst für Genozid-Kommentar

Edith Bruck ist 93 Jahre alt und mit Papst Franziskus befreundet. Jetzt hat sie ihn aber mit deutlichen Worten kritisiert

 19.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Tschechien

Oscar-reifer Held am Mikrofon

»Wellen« feiert den KZ-Überlebenden Milan Weiner, der 1968 die Sowjets in Schach hält

von Kilian Kirchgeßner  17.11.2024

USA

Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Gesundheitsminister

Donald Trump beruft mit Robert F. Kennedy einen Mann als Gesundheitsminister, der auch durch antisemitische Verschwörungstheorien von sich reden macht

von Michael Thaidigsmann  15.11.2024

Imanuels Interpreten (1)

Flora Purim: Das Unikum

Die in Rio de Janeiro geborene Sängerin liefert eine einzigartige Melange der Klänge

von Imanuel Marcus  15.11.2024