Österreich

Wahrheitssuche am Wörthersee

Mit Stolperstein: Bürgermeister Scheider (l.) und der Kölner Künstler Gunter Demnig (r.) Foto: Sonya Konitsch

Die Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt diskutiert über Straßennamen. Bereits vor fünf Jahren tagte dazu eine Historikerkommission. Damals wurden vier Straßen auf Grund von NS-Bezügen umbenannt. Nun will Bürgermeister Christian Scheider (49) von der rechtspopulistischen Partei »Die Freiheitlichen in Kärnten« (FPK) erneut eine Historikerkommission einsetzen. Der Besuch des Schoa-Überlebenden und Präsidenten der Salzburger Kultusgemeinde, Marco Feingold (100), habe ihn dazu bewogen, belasteten Straßennamen nochmals auf den Grund zu gehen, sagte er.

»Anschluss« Unter die Lupe genommen werden sollen jetzt vor allem politische Größen wie Österreichs früherer Kanzler Julius Raab von der konservativen Volkspartei ÖVP, der 1929 den Korneuburger Eid der faschistischen Heimwehr zur Abschaffung der Demokratie unterschrieb, oder der Sozialdemokrat Karl Renner, Staatskanzler in der Ersten Republik, der offen für den »Anschluss« an Hitler-Deutschland eintrat.

Die Reaktion der anderen Parteien ist verhalten. Sowohl Sozialdemokraten als auch Volkspartei verwiesen auf die Ergebnisse der Historikerkommission, die bereits dazu gearbeitet hatte. Damals habe Scheider gegen die Umbenennungen gestimmt, wird kritisiert. Die Grünen begrüßen die Initiative, fordern aber Aufklärung »ohne Kompromisse«.

Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), betont im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, die Recherche müsse in alle Richtungen gehen, es dürfe keine Tabus geben. »Alle haben hier Dreck am Stecken.« Es sei schade, dass sich ein Kasperltheater zwischen den Fraktionen abspiele.

Wer der neuen Kommission angehören wird und wann sie ihre Arbeit aufnimmt, weiß der Bürgermeister noch nicht. Er werde in einer der nächsten Stadtsenatssitzungen einen Antrag einbringen, sagt er. Aber: »Ob die anderen Fraktionen dem zustimmen, bleibt abzuwarten.«

Historikerkommission Die Grünen befürworten zwar die Einsetzung einer neuen Kommission, stoßen sich aber an Scheiders Ankündigung, keine Straßen umzubenennen, sondern lediglich erklärende Zusatztafeln anzubringen. Der Bürgermeister verteidigt sich: »Wir wollen einen offenen Umgang mit der Geschichte und vor allem umfassende Information.« Er betont aber auch: »Die Umbenennung von Straßen ist mit entsprechenden Kosten für die Anrainer verbunden. Auch aus diesem Grund wurde ein anderer Weg ins Auge gefasst.«

Für Grünen-Politikerin Evelyn Schmid-Tarmann wäre dieses Vorgehen nicht zu akzeptieren. »Das würde die Namensgeber nur noch berühmter machen und hätte etwas von einem ›Freiluft-Nazi-Museum‹.« Dieses Bild hatte zuvor ein Journalist in einem Kommentar verwendet.

Beide Vorgangsweisen – die Straßenumbenennung und das Anbringen von Zusatztafeln – hätten ihr Für und Wider, betont Fastenbauer: Gibt man den Straßen neue Namen, gerate die Geschichte in Vergessenheit. Tafeln wiederum lese man nur im Vorbeigehen, die durch die Benennungen Geehrten würden aber im Alltag durch die Verwendung der Straßennamen weiter unreflektiert in Erinnerung bleiben.

Glaubwürdigkeit Scheider hat in seiner Zeit als Bürgermeister bereits einige versöhnliche Gesten gesetzt: So wurden der jüdische Friedhof restauriert und in Erinnerung an NS-Opfer elf sogenannte Stolpersteine verlegt. Er wolle mit Initiativen wie diesen »ein klares Zeichen gegen Rassismus und Völkermord« setzen, sagt er. Die Grünen werfen ihm allerdings Unglaubwürdigkeit vor, denn er unterstütze zugleich »die ultrarechte Ulrichsberggemeinschaft«, die sich bei ihren alljährlichen Treffen nicht von ehemaligen SS-Soldaten distanziert.

Gerichtsurteil

Haftstrafen für Gewalt gegen Israelis in Amsterdam

In digitalen Chat-Gruppen war der Anklage zufolge zu einer »Jagd auf Juden« aufgerufen worden

 24.12.2024

Kanada

Jüdische Mädchenschule in Toronto zum dritten Mal beschossen

Auch im vermeintlich sicheren Kanada haben die antisemitischen Angriffe extrem zugenommen - und richten sich sogar gegen Kinder

 23.12.2024

Bulgarien

Kurzer Prozess in Sofia

Der jüdische Abgeordnete Daniel Lorer wurde von seiner Partei ausgeschlossen, weil er nicht zusammen mit Rechtsextremisten stimmen wollte

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Großbritannien

Gerechtigkeit und jüdische Werte

Sarah Sackman wurde als frisch gewählte Abgeordnete zur Justiz-Staatsministerin ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  23.12.2024

Spanien

Tod in den Bergen

Isak Andic, Gründer der Modekette Mango und Spross einer sefardischen Familie aus der Türkei, kam bei einem Familienausflug ums Leben

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Australien

»Juden raus«-Rufe vor Parlament in Melbourne

Rechtsextremisten haben vor dem Regionalparlament in Melbourne antisemitische Parolen skandiert

 23.12.2024

Guatemala

Rund 160 Kinder vor ultraorthodoxer Sekte gerettet

Laut Behördenangaben wurden auf dem Gelände von »Lev Tahor« mutmaßliche sterbliche Überreste eines Kindes gefunden

 22.12.2024

Analyse

Putins antisemitische Fantasien

Der russische Präsident ist enttäuscht von der jüdischen Diaspora im Westen und von Israel

von Alexander Friedman  22.12.2024

Diplomatie

Israel und Irland: Das Tischtuch ist zerschnitten

Politiker beider Länder überhäufen sich mit Vorwürfen. Wie konnte es so weit kommen?

von Michael Thaidigsmann  18.12.2024