Holzstühle, roter Samt, Retro-Popcorntheke: Das Labia Theatre im Herzen Kapstadts ist nicht nur eine Stadtikone, sondern auch eine der ältesten Filmbühnen Südafrikas. In den vergangenen Jahren fand sich das Traditionskino inmitten eines Rechtsstreits wieder, der seinen Ursprung nicht in Afrika hat, sondern weit entfernt: im Nahen Osten.
Weil die Kinobesitzer sich weigerten, einen Film über die Lebensverhältnisse von Palästinensern in einem vermeintlichen Apartheidstaat vorzuführen, zog die Palestine Solidarity Campaign vor Südafrikas Gerichtshof für Gleichberechtigung. Dort bekam die Lobbygruppe recht: Das Labia musste Roadmap to Apartheid auf die Leinwand bringen. Unbeachtet blieb der Wunsch der Kinobesitzer, »nicht in Politik involviert« zu werden, denn der Film, so erklärten sie, betreibe »pure Propaganda«.
FRONTEN Der Streit ist alt: Die anti-israelische Bewegung »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) genießt in Südafrika große Popularität. Seit Jahren mobilisieren ihre Anhänger erfolgreich die Massen am Kap mithilfe des Apartheidvergleichs zwischen Israel und dem früheren südafrikanischen Regime.
In so manchem Hörsaal werden Verschwörungserzählungen verbreitet.
Die kleine jüdische Gemeinde am Kap sieht sich dadurch vermehrt Anfeindungen ausgesetzt. Vor allem liberale Intellektuelle pflegten einen Antizionismus, der nicht selten in »rohen und unverhüllten Antisemitismus« überschwappe, sagt der Historiker Milton Shain, der als Professor an der Uni Kapstadt lehrt. »Das gibt Juden ein Gefühl von Unbehagen.«
Für Wirbel sorgte kürzlich einer von Shains Kollegen mit der Aussage, Hitler habe »kein Verbrechen begangen«. »Alles, was Hitler tat, war, Weißen anzutun, was diese normalerweise für Schwarze reservierten«, so der Geschichtsprofessor Lwazi Lushaba.
massaker In seiner Vorlesung mahnte er an, die Menschheit dürfe kein Massaker wertend über ein anderes stellen. Dies sei jedoch der Fall bei den Völkermorden des 20. Jahrhunderts: Die Weltgemeinschaft habe den Holocaust verurteilt, andere Gräueltaten wie den Genozid unter deutscher Kolonialherrschaft jedoch nicht.
Einige Beobachter sehen Lushabas Aussage »aus dem Zusammenhang gerissen«, und ein jüdischer Student der Uni Kapstadt will dem Professor weder Hassrede noch Antisemitismus unterstellen, wohl aber fehlendes Einfühlungsvermögen: »Er war in der Wahl seiner Worte sehr nachlässig.«
Dylan Stein, Vizevorsitzender der jüdischen Studentenvereinigung SAUJS, findet Lushabas Aussage »abscheulich« und unterstellt vielen Südafrikanern »massive Wissenslücken«, was Hitler und die Gräuel des Holocaust betrifft. »In akademischen Debatten tauchten jüngst die klassischen antisemitischen Verschwörungstheorien auf«, sagt Stein. Dabei gehe es grundsätzlich um einen vermeintlichen »jüdischen Einfluss« auf die Politik. Schon mehrere Male habe er sich im Hörsaal gegen judenfeindliche Verschwörungserzählungen verteidigen müssen, so Stein.
BERUFUNGEN Sorge äußern führende Vertreter der jüdischen Gemeinde auch über die Gerichtssäle am Kap. Im April hörte Südafrikas Judicial Service Commission (JSC) neue Kandidaten für Richterposten an. Unter ihnen waren auch zwei jüdische Juristen.
Doch anders als ihre christlichen und muslimischen Kollegen seien der Anwalt Lawrence Lever und der Richter David Unterhalter umfangreich zu ihrem Judentum sowie zu ihrer Einstellung zur Nahostpolitik befragt worden, kritisiert die jüdische Dachorganisation Jewish Board of Deputies (SAJBD). »Es ist schwer zu verstehen, wie ein solcher Konflikt es in dieses Forum geschafft hat«, sagte SAJBD-Chefin Wendy Kahn. »Kein muslimischer Kandidat wurde gleichermaßen zum Palästina-Israel-Thema befragt.«
Viele Südafrikaner wissen wenig über Hitler und den Holocaust.
Südafrikas Oberrabbiner Warren Goldstein ging noch einen Schritt weiter: Er nannte die Anhörung »rassistisch und antisemitisch«.
Die Gegner der jüdischen Richterkandidaten, darunter Anhänger der BDS-Bewegung, beklagten vor allem deren frühere Verbindung zur jüdischen Dachorganisation. »Es scheint, dass die Kritiker von Richter Unterhalter das Board of Deputies mit der South African Zionist Federation verwechseln, die sich tatsächlich mit dem Zionismus und dem Staat Israel beschäftigt«, sagt Professor Shain. Das Board of Deputies jedoch kümmere sich seit mehr als 100 Jahren um die Belange der jüdischen Gemeinde am Kap, zu der in Spitzenzeiten 120.000 Mitglieder und heute kaum mehr als 50.000 gehören.
Die Richterberufungskommission hingegen steht zu ihrer Anhörung: Man sei »besorgt«, dass die jüdische Dachorganisation Zionismus unterstütze. Dieser sei eine »diskriminierende Art von Nationalismus«, so die Kommission.
VIELFALT In einer gemeinsamen Kolumne brachten SAJBD-Sprecherin Charisse Zeifert und der Londoner Soziologe David Hirsch das Problem vieler südafrikanischer Juden kürzlich auf den Punkt. Die Gemeinde am Kap sei äußerst vielfältig, betonten sie. Es gebe mehr und weniger zionistische Juden im Land, und natürlich stünden etliche südafrikanische Juden der israelischen Regierung auch kritisch gegenüber.
Doch die erstarkende BDS-Bewegung ignoriere die Diversität. »BDS erlaubt es Juden nicht, als Personen oder als Gemeinschaft ihre eigene Identität zu definieren«, so die Kolumnisten. »Die BDS-Bewegung will unseren Zionismus für uns definieren, gegen unseren Willen und ohne mit uns gesprochen zu haben.«