Seit Ende Februar ist in Portugal ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Es ermöglicht Nachfahren sefardischer Juden, einen portugiesischen Pass zu beantragen.
Während der legislative Prozess für ein ähnliches Gesetz im benachbarten Spanien gerade erst abgeschlossen wurde, bescheinigen die jüdischen Gemeinden in Portugal ersten Antragstellern bereits ihre Zugehörigkeit zum sefardisch-portugiesischen Judentum.
Aufgabe Den Gemeinden kommt im Antragsprozess eine entscheidende Rolle zu: Laut Gesetz sind sie für die Prüfung zuständig, und erst nach ihrer Zustimmung können die Kandidaten auf die portugiesischen Staatsangehörigkeit hoffen. Esther Mucznik, Vize-Präsidentin der jüdischen Gemeinde von Lissabon, und Michael Rothwell von der Gemeinde in der Stadt Porto betonen, dass das vom portugiesischen Staat in die Gemeinden gesetzte Vertrauen eine große Aufgabe sei. Auch deshalb würden alle Antragsteller genauestens geprüft. »Wir werden den Staat nicht enttäuschen«, betont Rothwell.
Das Interesse an einem Pass des kleinen südwesteuropäischen Landes scheint jedenfalls groß zu sein, wie die Verantwortlichen aus den Gemeinden bestätigen. »Seit Inkrafttreten des Gesetzes haben wir rund 900 Anträge geprüft und 212 Zertifikate ausgestellt«, sagt Rothwell, der in der jüdischen Gemeinde Porto in der Prüfungskommission sitzt. Davon seien zwei Drittel aus der Türkei gewesen, gefolgt von Israel und den USA. Aber auch aus Australien, Hongkong oder Kasachstan seien Formulare eingetroffen.
In Lissabon seien die Zahlen momentan noch überschaubar, berichtet Vize-Präsidentin Esther Mucznik. Seit Beginn der Arbeit am 9. März habe die Prüfungskommission der Gemeinde knapp 500 Anträge erhalten. Rund 50 davon seien inzwischen zertifiziert worden, elf weitere würden gegenwärtig noch geprüft.
Antisemitismus Auffällig ist, dass ein überproportional großer Anteil von Anträgen aus der Türkei kommt. Mucznik sieht dies vor allem in der kulturellen Verbindung begründet, die türkische Juden mit der Iberischen Halbinsel haben. Nach der Inquisition im 15. Jahrhundert seien viele portugiesische Juden ins Osmanische Reich geflohen. Ihre Nachfahren würden zum Teil immer noch Ladino sprechen, erläutert sie. Michael Rothwell ergänzt, dass der Wunsch, dem zunehmend antisemitischen Klima unter Präsident Erdogan zu entfliehen, ein weiterer wichtiger Grund sei, den türkische Antragssteller anführten.
Für die beiden Gemeinden bedeutet die Prüfung der Dokumente einen enormen finanziellen und personellen Aufwand. Sie erhalten dafür keinerlei Unterstützung, und die Arbeit wird ausschließlich ehrenamtlich geleistet. Dafür stehe allerdings nicht mal ein ganzer Tag pro Woche zur Verfügung, erläutert Mucznik die momentane Situation in ihrer Gemeinde. Um diese Aufgabe professioneller und effektiver durchzuführen, soll demnächst eine bezahlte Stelle geschaffen werden. Woher das zusätzliche Geld kommen soll, ist noch nicht geklärt.
Kenntnisse Die größte Herausforderung besteht für Mucznik darin, auf Grundlage der eingesandten Dokumente die Zugehörigkeit des Antragstellers zum sefardischen Judentum portugiesischen Ursprungs festzustellen. Das erfordere oftmals detaillierte Kenntnisse der portugiesisch-jüdischen Diaspora und sei kein leichtes Unterfangen, so die studierte Historikerin.
Bisher reicht den meisten Antragstellern die Aussicht auf einen europäischen Pass. Aber einige planen offenbar auch, sich dauerhaft in Portugal niederzulassen. Das freut die Gemeinden in Porto und Lissabon. »Das Gesetz ermöglicht es den Nachfahren sefardischer Juden, Portugal und unserer Gemeinde hier im Land wieder näherzukommen«, sagt Mucznik über ihre Hoffnung, die sie mit dem Gesetz verbindet.
Auch die kleinere Gemeinde in Porto rechnet damit, dass sich das Gesetz auf die Mitgliederzahlen auswirkt. Michael Rothwell blickt voller Hoffnung in die Zukunft: »Porto ist ein sicherer Hafen für Juden, und es ist durchaus möglich, dass unsere Gemeinde in den kommenden Jahren beträchtlich wächst.«