Viel ist es nicht, was heute an die ermordeten Juden von Korfu erinnert – ein Denkmal mit einem kleinen Jungen, der sich Schutz suchend an seinen nackten Vater schmiegt, und eine metallene Gedenktafel: »Never again for any nation: Dedicated to the memory of the 2000 Jews of Corfu who perished in the Nazi concentration camps of Auschwitz and Birkenau in June 1944.«
Die Historikerin und Osteuropaexpertin Diana Siebert hat eine Studie über die Geschichte Korfus bis zum Jahr 1944 vorgelegt. Darin finden sich auch umfangreiche Darstellungen zum jüdischen Leben und zur Schoa – ein bisher von der Forschung kaum wahrgenommenes Thema.
Mob Korfu, mit rund 100.000 Einwohnern die siebtgrößte Insel Griechenlands, gehört seit 1864 zu Griechenland. Über Jahrhunderte gab es unter den Einwohnern einen recht hohen Anteil von Juden. 1891 dann ein traumatisches Erlebnis: Ein jüdisches Mädchen wird ermordet. Sofort verbreitet sich die Mär, die Tote sei Christin gewesen und von Juden ermordet worden – die alte Ritualmordlegende. Der Mob versammelt sich vor dem jüdischen Viertel, aufgehetzt durch zahlreiche antisemitische Zeitungsbeiträge. Etwa 20 Juden werden ermordet.
In der Folge verlassen 3000 der 5000 Juden Korfu und wandern nach Ägypten, Frankreich, Großbritannien und Italien aus. Die Verbliebenen leben fortan vor allem in dem offenen Ghetto Evraiki.
Siebert unterteilt die Geschichte der Juden von Korfu in den 40er-Jahren in vier Phasen: Im November 1940 wird die Insel von italienischen Truppen bombardiert; im April 1941 wird sie von Italien besetzt; die Juden bleiben unter italienischer Herrschaft bis 1943 von Übergriffen verschont. Nach dem Frontwechsel Italiens im September 1943 besetzen die Deutschen Korfu. Im späten Frühjahr 1944 deportieren sie die Juden über Athen ins Vernichtungslager Auschwitz.
Auschwitz Am 8. Juni ergeht der Befehl an die 2000 Juden, sich zu versammeln. Etwa 200 von ihnen widersetzen sich, fliehen in die Umgebung der Stadt oder werden von nichtjüdischen Griechen versteckt. Mitte Juni beginnt die Deportation, am 30. Juni erreicht der Zug Auschwitz: »Über 1400 Menschen wurden sofort in die Gaskammern gebracht, 446 Männer und 175 Frauen ins Häftlingslager eingewiesen.« Nur 187 Juden von Korfu entgehen der Vernichtungsmaschinerie in letzter Minute. Einer von ihnen ist Armando Aaron, Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Claude Lanzmann setzt ihm später in seinem filmischen Epos Shoah (1985) ein Denkmal.
Geplant und durchgeführt wurde die Schoa auf Korfu von SS-Obersturmführer Anton Burger. Er war bis 1943 Lagerkommandant in Theresienstadt und ab März 1944 Leiter des Athener »Judenreferats«. Nach Kriegsende wurde er in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zum Tode verurteilt, floh jedoch und lebte bis zu seinem Tod 1991 unter falschem Namen in Essen.
Diana Siebert schließt sich der These des Historikers und Publizisten Sebastian Haffner an, dass sich die Deutschen in der Endphase des Krieges mehr darauf konzentrierten, die Juden zu vernichten, als den Krieg zu gewinnen.
Nach der Schoa kehrt ein Teil der Überlebenden nach Korfu zurück, die Mehrheit wandert nach Eretz Israel aus. Heute leben nur noch wenige Zeitzeugen. Die Gemeinde in Korfu besteht derzeit aus etwa 60 Mitgliedern.
Diana Siebert: »Aller Herren Außenposten – Korfu von 1797 bis 1944«. Siebert, Köln 2016, 272 S., 24,99 €