Das Internet macht’s möglich – man entdeckt Interessantes, Seltsames, Neues, Unmögliches oder Unerwartetes: wie zum Beispiel die amerikanische Webseite Vaybertaytsh.com. Nach eigenem Bekunden ist sie »ein feministischer Podcast für Jiddisch-Sprechende und Jiddisch-Interessierte«. Die Plattform möchte Neues zusammenfassen und sowohl Wissen als auch Unterhaltung im Audioformat präsentieren.
Der Fokus liegt, so heißt es, auf den Geschichten und der Arbeit von Frauen und queeren Personen sowie der Diskussion feministischer Anliegen. Das Format sei inspiriert von der Geschichte der Frauenbewegung im Radiobereich, der bis heute eine von Männern dominierte Sparte sei. Es gehe darum, kreative Räume für amerikanische Frauen zu schaffen, in denen sie offen über ihr Leben und ihre Arbeit sprechen könnten. Einerseits ist Vaybertaytsh Teil eines breiteren Vorstoßes, feministische Stimmen in den öffentlichen Raum zu tragen. Anderseits ist es ein ausdrücklich in Jiddisch angelegtes Projekt. Dabei gehe es nicht um die Sprachpflege allein, vielmehr sei Jiddisch nutzbar für alles und jedes.
Themen Das Themenspektrum reicht von Identität über Gender, Familie, Liebe, Sex und Frauengesundheit bis zu Fair Trade und Forschung. Die Community, an die man sich wendet und die »Geschichten einschließt über eine wunderbar diverse jiddisch-sprachige Welt«, ist »religiös, säkular, früher chassidisch und nichtjüdisch«. Es gehören Frauen und Männer dazu sowie queere und Transmenschen jeden Alters aus mehr als 20 Ländern.
Nun ist gar nichts dagegen zu sagen, wenn sich eine Minderheit in einer Minderheit in einer Minderheit eine eigene Plattform gibt. Interessant ist, dass durch die Wahl von Jiddisch als gemeinsamer Sprache eine besondere Exklusivität geschaffen wird, die alle ausschließt, die dieser heutigen Orchideensprache – Schätzungen zufolge sprachen sie vor dem Zweiten Weltkrieg bis zu 13 Millionen Menschen – nicht mächtig sind. Gleichzeitig ist es eine feministische Enklave, wie es ja auch ultraorthodoxe, charedische und akademische gibt, in denen Jiddisch weiter gepflegt und damit am Leben erhalten, auch weiter entwickelt wird, so wie sich alles Lebendige, auch Sprache, ändert und damit erneuert.
Es hört sich nett an, wenn von »temes, feminizm, deyversiti, jender« die Rede ist. Es ist eine freudige Überraschung, wenn ein Link zu der großartigen jiddischen Schriftstellerin Chava Rosenfarb führt, die Werke ihrer Freundinnen Miriam Waddington und Adele Wiseman, die in Englisch publizierten, ins Jiddische übersetzte, und einem speziellen Kommentar der Rosenfarb-Tochter Goldie Morgentaler dazu mit dem Titel »Feminismus, Kreativität und Übersetzung«. Es ist grenzübergreifend, wenn man über einen jiddischen Blog auf die Aktionskünstlerin Sharon Mashihi aus dem Iran aufmerksam wird.
Die Autorinnen tragen so schöne Namen wie Fraidy Biegeleisen, Shterna Goldbloom, Rochelle Grossman und Paula (Perel) Teitelbaum. Wenn Leana Jelen, die Mameloschn eindeutig im Elternhaus in Chicago aufsog, den Lieblingswitz von Sigmund Freud zum Besten gibt, schmunzelt man noch einmal über den Kranken im Mishiguim-Hoys, der auf koscherem Essen besteht, am Schabbes jedoch mit einer Zigarre erwischt wird. Wie kann das sein? Seine einleuchtende Erklärung: »Bin ikh dokh a Meshigener.«
Weiberbibel Der Name der Initiative ist Programm, nimmt Bezug auf die sogenannte Weiberbibel »Ze’enah-re’enah«, eine Sammlung biblischer Geschichten, Midraschim und Legenden in Jiddisch für das ungebildete Volk. Das betraf vor allem Frauen, die ja keinen Zugang zu Cheder und Jeschiwa hatten, den exklusiven Lernorten der Männer von Kindesbeinen an.
Fasst man das alles zusammen, so geht es darum, geradezu reflexhaft der einstigen Kommentierung von Männern in Osteuropa auf Jiddisch entgegenzutreten und stattdessen eine neue Plattform für emanzipierte jüdische Frauen in den USA zu schaffen. Dass dies dem Zeitgeist geschuldet »woke« sein muss, wird frau eines Tages vielleicht als ebenso einseitig erkennen wie das alte Muster, das man überwinden wollte. Auf jeden Fall ein spannendes Experiment und eines Tages womöglich die Widerlegung der These von Isaac B. Singer, wonach Jiddisch nurmehr eine Sprache der Toten sei.