Haschems Mizwot hellen die Augen auf», heißt es am Anfang einer farbigen Broschüre, über der der Name des britischen Oberrabbiners Ephraim Mirvis steht. Es handelt sich dabei um den Werbeprospekt für ein Ausbildungsprogramm für orthodoxe Frauen, das im September beginnt.
Wer den 18-monatigen Kurs erfolgreich abschließt, darf sich Ma’ayan (hebräisch: Brunnen, Quelle) nennen. Ma’ayanot sollen in ihren Gemeinden als Ansprechpartnerinnen und Leitfiguren für orthodoxe Frauen wirken. Man brauche dies, so Mirvis, «denn in persönlichen Angelegenheiten offenbaren sich Frauen lieber anderen Frauen».
Familienplanung Auf dem Stundenplan steht, wie zu erwarten, viel Traditionelles, zum Beispiel die Unterrichtseinheit «Jüdische Familienregeln». Neu allerdings ist die Tatsache, dass fast die Hälfte des Ausbildungsprogramms dem Verstehen umfangreichen medizinischen und psychologischen Wissens gilt.
Familienplanung, Geschlechtskrankheiten, Impotenz und genetische Tests stehen genauso auf dem Lehrplan wie die Themen «Gewalt gegen Frauen» und «geistige Gesundheit». Die Kursteilnehmerinnen sollen später als vertrauliche Beraterinnen arbeiten und selbstständig Bildungsseminare durchführen können.
Die Dozenten des stark subventionierten Kurses sind Fachkräfte des Londoner Beit Din sowie auf Frauengesundheit spezialisierte Hochschullehrer.
Die Absolventinnen des Kurses sollen später in den Gemeinden eine wichtige Aufgabe erfüllen. Doch werden sie keine den Rabbinern vergleichbare Rolle einnehmen, wie es im progressiven Judentum und in den USA seit einiger Zeit auch in manchen orthodoxen Gemeinden üblich ist.
Ma’ayan Die Ma’ayanot folgen einem anderen Modell. Es geht weniger um Gleichstellung als darum, professionellen Rat zu geben und Hilfe zu leisten. Vorbild ist Lauren Levin, eine von 100 Rebbetzinnen weltweit, die sich am Jerusalemer Nishmat-Zentrum für fortgeschrittene Torastudien für Frauen ausbilden ließ und 2012 von Rabbi Ephraim Mervis in ihr Amt berufen wurde. Levin hilft orthodoxen jüdischen Frauen in Sachen Gesundheit und Familienreinheit, in Fragen zu religiösen Regeln, Familienplanung, Eheharmonie oder psychischer Gesundheit. Levin ist zwar nicht an der Gestaltung des Ma’ayan-Kurses beteiligt, doch sie stimmt Mervis zu, dass es in der orthodoxen Erwachsenenbildung in Großbritannien einen großen Bedarf an weiblichen Führungskräften gibt.
Die meisten orthodoxen Gemeinden in Großbritannien und dem Commonwealth gehören zum Bündnis der United Synagogue und stehen unter der Obhut des britischen Oberrabbiners. «Sie werden die Ma’ayanot akzeptieren», glaubt Kurskoordinatorin Michelle Bauernfreund.
Misshandlung Auch die jüdische Hilfsorganisation für Frauen, Jewish Women’s Aid, begrüßt die Pläne. Direktorin Naomi Dickson erklärte im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, sie sei überzeugt, dass die Ma’ayanot mit ratsuchenden Frauen, die manchmal sehr empfindlich sind, einfühlsam umgehen können. Besonders für Frauen, die Misshandlung oder gar Gewalt erlebt haben, seien sichere Orte und weibliche Gesprächspartner sehr wichtig. Ma’ayanot könnten somit eine neue Anlaufstelle für Hilfesuchende sein.
All dies geschieht in einer Zeit, da in Großbritannien die Rolle orthodoxer Frauen in der Öffentlichkeit zunehmend politisiert wird. So stand zuletzt eine Gruppe Beltzer Chassidim im medialen Rampenlicht, weil Frauen dort angewiesen wurden, aufgrund von Regeln religiöser Sittlichkeit ihre Kinder nicht in die Schule zu fahren. Zudem wurden im Februar zwei Knabenschulen von der staatlichen Schulbehörde verwarnt. Man kritisierte ihre Ansichten zur Rolle der Frau in der Gesellschaft.
Ob die Ma’ayanot-Frauen in den charedischen Gemeinden helfen können, ist nicht automatisch gegeben. Doch sind in den vergangenen Jahren auch in ultraorthodoxen Kreisen einige kleinere Organisationen entstanden, die sich den Themen «mentale Gesundheit» oder «Unfruchtbarkeit» widmen.