Kinder, die keine jüdische Mutter, aber einen jüdischen Vater haben, sollen nach einem Beschluss der Assembly of Reform Rabbis UK bald durch ein vereinfachtes Verfahren als Juden anerkannt werden. Nach dem Beschluss, der eher als Richtlinie zu verstehen ist, soll die Hauptentscheidung in Zukunft bei den Gemeinderabbinern und nicht beim Beit Din, einem religiösen Gericht, liegen. Rabbiner würden dem Beit Din die Aufnahme einer Person empfehlen, und das müsste dann nur noch beurkunden, dass sie jüdisch ist.
Bei dieser Anerkennung reicht allerdings nicht allein die Tatsache aus, dass der Vater eines Anwärters jüdisch ist. Es bedarf auch eines »Mindestniveaus an jüdischem Lebensstil und einer jüdischen Identität«. Da die Gemeinden im Reformjudentum alle unabhängig sind, können sie selbst frei entscheiden, welche Kriterien sie an dieses »Mindestniveau« anlegen. Eine übergemeindliche Regel gibt es hierzu also nicht. Jene, die das Mindestniveau noch nicht erreicht haben, sollen mit ihrem Rabbiner oder ihrer Rabbinerin individuell zusammenarbeiten, um die für die Anerkennung notwendigen Bedingungen zu erfüllen.
entscheidung Die Entscheidung ist bedeutend, da das Reformjudentum in Großbritannien zahlenmäßig die zweitgrößte jüdische Bewegung nach den Konservativen und Orthodoxen ist. Rund 16.500 Personen – das sind etwa 20 Prozent aller britischen Juden – gehören dem Reformjudentum an.
Rabbi Paul Freedman, der Vorsitzende der Assembly of Reform Rabbis UK, sagte, er sei stolz auf die Neuerung, »Menschen in die Gemeinschaft aufzunehmen«. Die Entscheidung dazu folge der für gleichberechtigte Ehen und dem Aufruf von Frauen zur Bima. Mit den neuen Richtlinien sei die Assembly »ihren Hauptwerten zur Nähe der jüdischen Tradition treu und erlaubt es dem Judentum doch gleichzeitig, sich im Sinne der Herausforderungen der gegenwärtigen Welt zu entwickeln, und will dabei integrativ und gleichberechtigend sein«, formulierte Freedman.
Simon Rothstein, Sprecher der Vereinigung des Liberalen Judentums, die mit 37 Synagogen und Gemeinden als drittgrößte jüdische Religionsgemeinschaft in Großbritannien gilt, begrüßt den Schritt des Reformjudentums. Jedoch hob er hervor, dass seine Strömung diese Frage schon längst beantwortet habe. In Großbritannien sei es seit 1955 völlig egal, ob der jüdische Elternteil eine Frau oder ein Mann ist. Solange ein Kind jüdisch aufwächst und jüdisch erzogen wird, darf es Gemeindemitglied sein. Rothstein fügte hinzu, dass es sich bei dem Elternteil übrigens auch um einen Adoptivvater oder eine Adoptivmutter handeln könne. »Es gibt bei uns dazu weder Fragen noch Verfahren.«
mehrzahl Für die Mehrzahl der orthodoxen, sefardischen und Masorti-Gemeinden in Großbritannien wird es aber keine Änderung geben. Das Judentum wird hier auch künftig ausschließlich über die Mutter vererbt. Das Gebot hierzu findet sich in der Mischna (Kidduschin 3,12) und im Talmud (Kidduschin 68b).
Während die Orthodoxie der Auffassung ist, das Gesetz stamme aus der Zeit der Gesetzesübergabe am Berg Sinai, sind viele nichtorthodoxe Religionswissenschaftler der Meinung, dass es sich hier um Neuerungen aus der Zeit Esras im vierten Jahrhundert v.d.Z. handelt oder gar erst aus der Zeit der römischen Herrschaft im ersten oder zweiten Jahrhundert v.d.Z. Davor, so die Wissenschaftler, sei das Judentum über den Vater vererbt worden. Bei den Karäern, einer jüdischen Gruppierung, die den Talmud ablehnt, gilt dies bis heute.
Die neuen Richtlinien des britischen Reformjudentums werden die Diskussionen über die sogenannten Vaterjuden wiederaufleben lassen. Bereits jetzt erklärte der Geschäftsführer von Masorti Judaism, Matt Plen, seine Bewegung verstehe das jüdische Gesetz in der traditionellen matrilinearen Definition.
Allerdings fügte er hinzu, dass Masorti – im Rahmen der halachischen Regeln – Konversionen durchaus ermöglicht und dabei Wert auf einzelne »Zusammenhänge eines jeden Individuums« legt. »Feingefühl ist besonders wichtig, wenn jemand jüdisch aufgewachsen ist und sich als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft versteht.«