In der jüdischen Welt Polens ist es eine Sensation: Zum ersten Mal seit 1945 startet ein aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde bei den Parlamentswahlen, die am 25. Oktober stattfinden. »Natürlich will ich gewinnen und Sejm-Abgeordnete werden«, lacht die fast 70-jährige Alicja Bromberger-Kobus.
Zwar startet die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Posen auf dem letzten Platz der liberalkonservativen Bürgerplattform PO, doch Chancen rechnet sie sich dennoch aus: »Ich wollte verdienten Parteimitgliedern nicht die oberen Listenplätze wegnehmen, starte ich doch als unabhängige Kandidatin. Aber im Wahlkampf haben so viele Leute versichert, dass sie mir ihre Stimme geben wollen – das ist eine wirklich große Freude. Es könnte klappen!«
Stadträtin Leicht hatte es die vor Energie und Tatendrang strotzende Lehrerin in den vergangenen Jahren nicht. Als Stadträtin in Murowana Goslina bei Posen gab es immer wieder schwierige Probleme zu lösen. Auch in der jüdischen Gemeinde in Posen, die sie vor 16 Jahren neu begründet hatte, sind je-den Tag aufs Neue Managerfähigkeiten und diplomatisches Geschick gefragt.
»Ich bin da aber ganz in meinem Element«, versichert Alicja Bromberger-Kobus. »Da ich mit allen gern zusammenarbeite, unabhängig von religiösem Bekenntnis, sozialem Stand oder Nationalität, wollte ich das auch in meinem Wahlslogan zum Ausdruck bringen.« Die Sejm-Kandidatin deutet auf das Wahlplakat mit ihrem Konterfei »Zaufaj! – Vertraue!« und lacht wieder. »Mein Vertrauen in den Fotografen hat sich auch gelohnt. Ich sehe mindestens 20 Jahre jünger aus auf dem Foto.«
Sollte sie die Wahlen gewinnen, will sie sich gleichermaßen für christliche wie jüdische Polen einsetzen, in Not geratenen Menschen helfen, ausbildungswillige Unternehmen und Berufsschulen fördern, sodass Jugendliche einen soliden Beruf erlernen können und dann leichter einen festen Job finden.
Restituierungsgesetz Als Abgeordnete würde sie auch versuchen, das Restituierungsgesetz für jüdisches Gemeindeeigentum zu ändern. Zurzeit sei das Gesetz sehr unvorteilhaft für jüdische Gemeinden. »Ich hoffe aber auch, mehr für die Toleranz im Lande tun zu können als bisher.«
Auch jetzt gehe sie an die Öffentlichkeit, wenn es wieder zu einem »Vorfall« kam: »Das würde ich auch in Warschau tun, und da hätte das sicher noch größere Resonanz.« Erst vor ein paar Tagen habe sie wieder einen Politiker der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit PiS öffentlich zur Ordnung rufen müssen. Als der Kulturausschuss im Posener Stadtrat über neue Straßennamen abstimmte, ging es auch um die neue Straße zur Müllverbrennungsanlage.
»Da rief Professor Kapuscinski in die Runde: Nennen wir sie doch ›Auschwitzer Straße‹, und im Kulturausschuss lachten ganz viele. Ich war schockiert. Für den PiS-Stadtrat Janusz Kapuscinski waren die in Auschwitz vergasten Juden also Abfall, der nur noch zu verbrennen war! Das ist doch einfach bodenlos.«
Rechte Parteien Vor ein paar Tagen habe ein anderer PiS-Kandidat im Wahlkreis Posen ihre Heimatstadt Muranowa Goslina besucht, allen Stadträten die Hand gegeben, nur sie wie eine Aussätzige übergangen: »Natürlich gibt es auch PiS-Politiker, mit denen ich über Jahre gut zusammengearbeitet habe, doch insgesamt wäre es für die polnischen Juden besser, wenn die rechtsnationalen und rechtsradikalen Parteien die Wahlen verlieren.« Neben der PiS wären dies auch die Parteien Korwin und Kukiz’15.
Die PO hingegen, auf deren Liste sie selbst kandidiert, könne mit dem bisherigen Koalitionspartner, der gemäßigten Bauernpartei PSL, aber auch mit der Vereinigten Linken oder der Wirtschaftspartei Die Moderne zusammenarbeiten.
Posener Synagoge »Wenn es mir gelänge, ein paar Politiker im polnischen Parlament davon zu überzeugen, dass die Synagoge in Posen, die von den Nazis in ein Schwimmbad umgebaut wurde, wieder eine Synagoge sein sollte oder doch zumindest ein Zentrum des Dialogs, ginge für mich ein Traum in Erfüllung«, sagt Bromberger-Kobus. Sie habe wichtige Verbündete gefunden: Monika Krafczyk von der Stiftung zum Schutz des Jüdischen Erbes in Warschau, Michael Schudrich, den Oberrabbiner Polens, sowie Stanislaw Gadecki, Erzbischof von Posen.
Was noch fehle, sei der politische Wille. »Als Politikerin im Sejm hätte ich die Möglichkeit, bei den anderen Abgeordneten für diese Idee zu werben«, lächelt sie. »Warten wir es ab. Vielleicht geschieht am Sonntag ein Wunder, und ich werde ins polnische Parlament gewählt.«