Brasiliens Verfassungsgericht hat erstmals einen jüdischen Präsidenten. Ende Juni wurde Luiz Fux von seinen Kollegen am Obersten Bundesgericht (Supremo Tribunal Federal, STF) gewählt.
»Ich möchte Gott danken, der während meiner gesamten Laufbahn als Richter meine Hingabe an das Gute, die Wahrheit und die Gerechtigkeit bezeugt hat«, sagte Fux. »Ich werde immer nach moralischen und republikanischen Werten streben, für Demokratie kämpfen und die Unabhängigkeit der Gewalten innerhalb der Grenzen der Verfassung und des Gesetzes respektieren.«
HERKUNFT Richter zu sein, wurde Fux, 1953 in Rio de Janeiro geboren, in gewisser Weise in die Wiege gelegt. Der heute 67-Jährige stammt aus einer Familie rumänischer Juden, die vor den Nazis nach Brasilien flohen. Der Großvater mütterlicherseits saß im Schiedsgericht der Gemeinde, sein Vater, Mendel Wolf Fux, war Anwalt für Zivilstrafrecht.
»Luiz Fux ist ein besonderer Geist. Er ist fleißig und war in allem, was er angepackt hat, immer erfolgreich«, sagte Arnon Velmovitsky, Präsident der FIERJ (Federação Israelita do Estado de Rio de Janeiro), der jüdischen Gemeinde von Rio de Janeiro, der Jüdischen Allgemeinen. »Er besucht regelmäßig Chabad Lubawitsch, legt jeden Tag Tefillin (Gebetsriemen), ist in unserer Gemeinde bekannt, und wann immer er Zeit hat, kommt er zu unseren Veranstaltungen«, so Velmovitsky. »Er wird ein ausgezeichneter Präsident sein, da er mit großer Kenntnis und Eifer alle ihm vorgelegten Prozesse handhabt.«
JIU-JITSU Seit seinem 26. Lebensjahr trainiert Fux, der in seiner Jugend Amateur-Surfer war, brasilianisches Jiu-Jitsu. Anfang des Jahres erlangte er den 8. Dan, den weiß-roten Gürtel. Zudem treibt er regelmäßig Kraftsport und spielt Gitarre.
Vor einigen Jahren trat er bei der Ernennungsfeier für einen Kollegen kurzerhand auf die Bühne und gab »Um dia de Domingo«, einen Klassiker der brasilianischen Soul-Legende Tim Maia, zum Besten.
In seiner Richterlaufbahn war Fux ein Frühstarter. Nach dem Abschluss seines Studiums 1976 an der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro (UERJ) arbeitete der leidenschaftliche Fan des Fußballklubs Fluminense zunächst als Anwalt bei Shell, danach war er von 1979 bis 1982 Staatsanwalt in Rio. Im Alter von gerade einmal 30 Jahren wurde Fux zu einem der jüngsten Richter in Brasilien. Seit 1995 lehrt er Zivilstrafrecht an der UERJ, wo er 2009 seinen Doktor machte.
Im Jahr 1997 wurde Fux an den Gerichtshof von Rio de Janeiro berufen; 2001 ernannte ihn der damalige Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso zum Richter des Obersten Gerichtshofs (Superior Tribunal de Justiça, STJ), dem neben dem STF höchsten Justizorgan des Landes.
Zwei Jahre später markierte ein einschneidendes Erlebnis Fux’ Leben. Im Mai 2003 wurde er von Einbrechern attackiert, die in seine Wohnung im Viertel Copacabana in Rio de Janeiro eingedrungen waren. Zwei seiner Kinder kamen bei dem Angriff ums Leben, er selbst überlebte schwer verletzt.
Im März 2011 wurde Fux von der später abgesetzten Präsidentin Dilma Rousseff als erster jüdischer Richter überhaupt ans Verfassungsgericht berufen. In einem Interview mit der Tageszeitung »Folha de S.Paulo« enthüllte Fux Ende 2012 die Einzelheiten seiner Ernennung.
Fux’ Familie floh einst vor den Nazis aus Rumänien.
So bat er unter anderem José Dirceu, den früheren Stabschef von Rousseffs Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva, der trotz Korruptionsanklage weiterhin eine einflussreiche Persönlichkeit in der regierenden Arbeiterpartei war, um politische Unterstützung. In mehreren Sitzungen diskutierten sie das bevorstehende Strafverfahren.
Dirceu interpretierte die Gespräche als Versprechen eines Freispruchs. Doch als Mitglied des Gerichts stimmte Fux mit der Richtermehrheit für eine Verurteilung der meisten Angeklagten – darunter auch Dirceu.
Seine Unabhängigkeit stellte Fux erst kürzlich wieder unter Beweis, als er beschied, dass der Verfassungsartikel 142 dem Militär nicht das Vorrecht einräumt, als eine Art »moderierende Gewalt« zu agieren. Diese These wird von Anhängern des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro vertreten. Sie behaupten, die Streitkräfte könnten auf Ersuchen des Präsidenten ins Oberste Bundesgericht oder in den Kongress eingreifen.
POSITION »Fux hatte bei der Auslegung von Artikel 142 eine vorbildliche Posi-tion der Achtung der Verfassung«, lobte Rogério Dultra dos Santos, Juraprofessor an der Universidade Federal Fluminense (UFF) und Mitglied der brasilianischen Vereinigung der Juristen für Demokratie (ABJD), Ende Juni in einem Interview im Online-Radio »Jornal Brasil Atual«.
Eine andere Sache aber seien Fux’ »Rolle als politischer Agent« und »seine ideologischen Präferenzen«, so Duarte. »In diesem Sinne müssen wir sehr aufmerksam sein, was er von nun an als Präsident des STF tun wird.«
Duarte verwies darauf, dass Fux »ein Richter ist, der sich voll und ganz dem Lava-Jatismus verschrieben hat« und nannte ihn einen »politischen Vertreter« von Sergio Moro. Duarte verstieg sich sogar zu der Behauptung, der gewählte Präsident des STF stelle einen »faschistischen ideologischen Flügel« dar. Dieser Flügel verteidige die Relativierung der Verfahrensrechte, um den Ausbau der Repressionskapazitäten des Staates zu gewährleisten.
Lava-Jatismus bezieht sich auf die Operation Lava Jato, die »Autowasch-Affäre«, einen milliardenschweren Korruptionsskandal. Seit 2014 ermittelte die brasilianische Justiz in zahlreichen Verfahren. In deren Zuge wurde unter anderem der frühere Präsident Lula da Silva in einem umstrittenen Verfahren, in dem auch Fux eine Rolle spielte, durch Richter Sergio Moro verurteilt. Moro wurde später unter Bolsonaro Justizminister, überwarf sich mit dem Präsidenten aber vor einigen Wochen.
MILITÄRPUTSCH Im April leitete das Oberste Bundesgericht eine Untersuchung der Vorwürfe ein, Bolsonaro habe sein politisches Amt und seine Macht genutzt, um Verwandte und Freunde vor strafrechtlichen Ermittlungen der Bundespolizei zu schützen. Die Justiz ermittelt gegen Bolsonaros Söhne wegen des Verdachts, online verdeckte Hass- und Desinformationskampagnen gegen politische Gegner und staatliche Institutionen organisiert zu haben.
Der Gegensatz zwischen Präsident und Verfassungsgericht tritt immer offener zutage. Bolsonaro lässt seine Anhänger gegen die Richter aufmarschieren und kokettiert offen mit einem Militärputsch.
Luiz Fux’ zweijährige Amtszeit beginnt am 10. September, also in politisch turbulenten Zeiten. Es geht um nichts Geringeres als die Verteidigung der Demokratie in Brasilien.