Bulgarien

Verjüngungskur

Wo die Ausläufer der bulgarischen Hauptstadt Sofia steil ansteigen in Richtung Vitoscha-Gebirge, liegt in einer Seitenstraße ein stattliches Anwesen mit parkähnlichem Garten. Seit rund 15 Jahren beherbergt es das Altersheim der jüdischen Gemeinde, davor war in ihm der jüdische Kindergarten untergebracht.

Vor nicht allzu langer Zeit befand sich das »Dom na Roditelja« in baulich beklagenswertem Zustand. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten drohte ihm gar die Schließung. Eine finanzielle Spende der Hamburger Georg-Stilke-Stiftung wendete sie ab, und seit Juni präsentiert sich das Haus von Grund auf renoviert, frisch möbliert – und mit einem neuen Konzept.

»Früher betreuten wir ausschließlich jüdische Heimbewohner, jetzt nehmen wir alte Menschen unabhängig von ihrer Konfession auf«, sagt Altenpflegerin Gergana Rupenova beim Gang durch das Haus mit seinen 35 Plätzen. Derzeit leben 22 Menschen im »Dom na Roditelja«, die Hälfte davon sind Juden. Bald soll das Haus stärker, aber nicht vollständig ausgelastet sein. »Wir müssen auf die Befindlichkeiten der alten Menschen Rücksicht nehmen«, sagt Rupenova. »Wir brauchen freie Betten für den Fall, dass jemand aus seinem Zimmer raus will, weil er sich mit seinem Mitbewohner nicht versteht.«

Religiöse Konflikte gebe es jedoch kaum. Für die nichtjüdischen Bewohner sei es kein Problem, dass man im Heim nach den jüdischen Speisegesetzen kocht. In der modernen Großküche wird nicht nur das Essen für die Heimbewohner zubereitet, sondern auch das für den Mittagstisch im Gemeindehaus am Alexander-Stamboliski-Boulevard und für den jüdischen Kindergarten gegenüber der Synagoge.

Geschichte Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten die meisten der rund 50.000 bulgarischen Juden in den neu gegründeten Staat Israel aus. Heute leben noch gut 5000 in Bulgarien. Zwei davon sind Sophie Danon und Gracia Albuhaire, körperlich rüstige und geistig hellwache Frauen in ihren 90ern. Beide leben seit rund acht Jahren im »Dom na Roditelja«. Sophie Danon ist emeritierte Professorin für Mikrobiologie, ihre Freundin Gracia Albuhaire war viele Jahre lang Journalistin bei Radio Sofia.

Das Ende der kommunistischen Volksrepublik 1989 habe dem sozialen und kulturellen Leben der jüdischen Gemeinde in Sofia neue Impulse verliehen, die bis heute spürbar seien, sagt Danon. »Damals besannen sich viele ihrer jüdischen Identität, und wir merkten, dass wir mehr waren, als wir gedacht hatten.«

An diesem heißen Sommermorgen wirkt das Haus sehr ruhig. Vereinzelt bewegen sich ein paar Bewohner langsam durch die Korridore. An den Wänden hängen großformatige Hochglanzfotos mit jungen, Lebensfreude ausstrahlenden Menschen. »Die Bilder sollen für gute Stimmung sorgen«, sagt Sophie Danon. Sie und ihre Freundin Gracia hätten andere Bilder vorgezogen – »solche, die die Geschichte des Hauses widerspiegeln, etwa von Besuchen bedeutender Persönlichkeiten bei uns«.

Der großzügige Salon ist zu dieser Zeit menschenleer. »Die meisten Bewohner sind körperlich und geistig nicht mehr sehr rege und ruhen sich auf ihren Zimmern aus«, sagt Gracia Albuhaire. Gemeinsam mit ihrer Freundin ist sie damit beschäftigt, die leeren Bücherregale zu füllen. »Wir haben eine große Bibliothek. Bevor wir die Bücher aber wieder in die Regale stellen können, müssen wir sie thematisch ordnen.«

Ladino Besonders am Herzen liegt den beiden Frauen die Pflege des Judeo-Spanischen, auch Ladino genannt. Albuhaire hat einige ihrer rund 20 belletristischen und poetischen Werke in Ladino verfasst. »500 Jahre haben wir sefardischen Juden uns unsere Sprache bewahrt, sie in der Familie und in unserer Siedlung gesprochen«, sagt Danon – und fügt schmunzelnd hinzu: »Heute im Heim sprechen wir manchmal Ladino, wenn wir nicht wollen, dass die anderen uns verstehen.«

Das Verhältnis der Heimbewohner sei aber über die Religionsgrenzen hinweg harmonisch, versichert sie. »Wir alle interessieren uns für die Bräuche der jeweils anderen und feiern die Feste gemeinsam.«

Sophie Danon und Gracia Albuhaire haben nie geglaubt, dass das »Dom na Roditelja« geschlossen werden könnte. Es sei mehr als ein Heim, sagen sie – »es ist eine soziale und kulturelle Institution der Sofioter Juden«. Seine Erneuerung sehen die beiden Frauen nicht allein in frisch gestrichenen Wänden, neuen Fenstern und schicken Möbeln, sondern auch in seiner Öffnung nach außen. Sie erhoffen sich dadurch, dass der Geist des Heims belebt wird. »Der Jude an sich ist vernünftig«, sagt Sophie Danon apodiktisch, »kann er ein Heim mit Juden nicht mehr sinnvoll betreiben, öffnet er es für alle.«

chance Selbst als das Haus in einem baulich schlechten Zustand war, herrschte in ihm viel Leben. Es wurden Spiele gespielt, Gesangsunterricht angeboten und sogar Kunsttherapie. »Nun ist das Haus renoviert, wir aber sind älter geworden und auch passiver. Doch das wollen wir ändern«, sagen die beiden Damen und sehen in der Öffnung für nichtjüdische Bulgaren eine Chance. »Unser Haus sollte Raum bieten nicht nur für uns Juden, sondern für alle Menschen und ihre Initiativen«, meint Sophie, und Gracia stimmt ihr zu.

Vor ein paar Wochen haben die Kinder vom jüdischen Kindergarten im Garten einen Gingko-Baum gepflanzt. Zuweilen kämen auch Besucher aus dem Ausland ins »Dom na Roditelja« und trügen danach ein positives Image von Bulgarien in die Welt.

Als junge Frauen haben Sophie Danon und Gracia Albuhaire Anfang der 40er-Jahre die Judendiskriminierung in Bulgarien miterlebt. Ihre Erinnerungen daran sind schmerzhaft. »Die Männer waren in Arbeitslager interniert, Frauen und Kinder irgendwo auf dem Dorf untergebracht, ohne soziale Hilfe und im Winter ohne Heizung. Wir hofften, es möge vorübergehend sein und dass wir irgendwann Gerechtigkeit erfahren würden«, erzählt Gracia. Im Frühjahr 1943 erhielt sie ihren Deportationsbefehl. »Der Zug werde bald kommen, sagte man uns. 20 Kilo Gepäck könnten wir mitnehmen.« Doch Proteste von Geistlichen der orthodoxen Kirche, von Politikern und gewöhnlichen Bulgaren verzögerten den Abtransport und machten ihn schließlich hinfällig. Bulgariens Juden waren gerettet.

»Viele Christen haben uns damals ihren Respekt erwiesen«, sagen Sophie Danon und Gracia Albuhaire übereinstimmend. »Wir, die wir unter dem Hass gelitten haben, wollen mit unserem Haus zeigen, dass er zu überwinden ist.«

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