Prozess

US-Justiz stößt bei Harvey Weinstein an Grenze

Harvey Weinstein auf dem Weg in den Gerichtssaal am 24. Februar Foto: imago images/ZUMA Press

»Die Menschen des Staates New York vs. Harvey Weinstein« stand immer wieder auf den großen Bildschirmen im Gerichtssaal 1530 in Manhattan. Die besagten Menschen saßen an der Seite in zwei Reihen, fünf Frauen und sieben Männer. Sie sprachen nun den einst übermächtigen Weinstein schuldig.

Nicht in den schwersten Anklagepunkten, doch trotzdem wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung – er könnte Jahrzehnte hinter Gitter kommen. Das Verfahren aber kämpfte vom ersten Tag an mit einer großen Schwäche: Der maximalen medialen Mobilisierung.

Schockstarre «Wie kann so etwas in Amerika passieren?», sagte Weinstein in Schockstarre nach Angaben seines Anwalts, während er das historische Urteil hörte. Es war das vorläufige Ende eines beispiellosen öffentlichen Kampfes, angefangen vor mehr als zwei Jahren mit Vorwürfen von Frauen aus der Unterhaltungsbranche gegen Weinstein. Unter großem Risiko für sich und ihre Karrieren traten sie in Artikeln des «New Yorkers» und der «New York Times» hervor. Ihre Zahl schwoll bald auf über 80 an.

Die MeToo-Debatte fand Eingang in Familien, Büros, Sportvereine.

Doch aus dem Skandal um Weinstein erwuchs etwas noch Größeres: Viele erkannten ihre eigenen Peiniger in den Geschichten wieder, die Weinsteins Opfer erzählten. Der massige Mann mit dem schiefen Gesicht wurde zum Symbol des «raubtierhaften» männlichen Machtmissbrauchs. Und die MeToo-Debatte fand Eingang in Familien, Büros, Sportvereine und bis in die letzten Winkel der Gesellschaft.

Tweets Kaum jemand blieb von der umwälzenden Macht der Bewegung mit 19 Millionen #MeToo-Tweets in einem Jahr unbeeindruckt. So gut wie jeder hatte eine Meinung zur neuen Welle im Kampf für Frauenrechte. Ob es nun die blanke Wut vieler gegenüber frauenverachtendem Verhalten war oder ein Unverständnis bei Anderen, von denen einige sich fragten: «Was darf man jetzt eigentlich noch?». MeToo veränderte nicht nur die USA, sondern die ganze Welt. Und auch, wenn die Prozessbeteiligten den Eindruck vermeiden wollten: Für viele wurde das Verfahren gegen Weinstein zu einem Stresstest der Bewegung.

Der Fall von Harvey Weinstein brachte die US-Justiz dabei an ihre Grenzen. Idealerweise stehen Juroren den Inhalten eines Gerichtsverfahrens mit größtmöglicher Neutralität gegenüber und sind für Argumente von Anklage und Verteidigung gleichermaßen offen – das schien in diesem Fall in New York kaum möglich. Wie tief MeToo in die Gesellschaft vorgedrungen war, zeigte sich auch, als sich potenzielle Geschworene bei der Jury-Auswahl reihenweise für befangen erklärten.

Juroren Proteste und Gesänge von Aktivisten waren bis in den Gerichtssaal im 15. Stock hinein zu hören. Weinsteins Verteidiger argumentierten, dass bei einer Atmosphäre wie in einem «Zirkus» kein unparteiischer Prozess möglich sei. Ihr Antrag zur Verlegung aus der Stadt heraus wurde von Richter James Burke zurückgewiesen. Der schärfte den gewählten Juroren ein: «Dieser Prozess ist kein Referendum über die MeToo-Bewegung».

Das Urteil ist trotzdem ein großer Sieg und Meilenstein für sie, die MeToo-Bewegung und Opfer sexueller Gewalt.

Weinstein-Chefanwältin Donna Rotunno sprach die Jury in einem umstrittenen Kommentar für das US-Magazin «Newsweek» direkt an. Sie bemängelte die angebliche Parteilichkeit der Medien und bezweifelte, dass die Juroren sich vom Sog ihrer Berichterstattung fernhalten konnten: «Glaubt jemand in einem hochkarätigen Fall wie dem von Harvey Weinstein wirklich, dass dies realistisch möglich ist?»

Nun kann man den fünf Frauen und sieben Männern der Jury nicht vorwerfen, dass sie es sich leicht gemacht hätten. Eine ihrer Anfragen am Freitagnachmittag offenbarte, dass sie bei den beiden schwersten Vorwürfen mit sich rangen. Am Ende stand der Schuldspruch in zwei Fällen, ein Freispruch in dreien.

Spannungsfeld Auch die Reaktionen offenbarten das immense Spannungsfeld, in dem die Entscheidung getroffen wurde. Während die Verteidigung in ihrer angekündigten Berufung die Neutralität des Gerichts anzweifeln dürfte, kritisierten mutmaßliche Opfer Weinsteins – darunter prominente Schauspielerinnen wie Ashley Judd und Rosanna Arquette –, dass Weinstein nicht in allen Punkten schuldig gesprochen wurde.

Das Urteil ist trotzdem ein großer Sieg und Meilenstein für sie, die MeToo-Bewegung und Opfer sexueller Gewalt. Außerhalb des Gerichtssaals hatte die Gesellschaft Weinstein auch angesichts der überwältigenden Zahl von Frauen, die ihn überzeugend beschuldigten, schon längst gerichtet. Dass er seine Machtposition schamlos ausnutzte, um junge Frauen dazu zu bringen, mit ihm zu schlafen, ist unbestritten. Doch moralische Schuld war und ist nicht gleichzusetzen mit der juristischen.

Die Anschuldigungen vieler Frauen konnten aus verfahrenstechnischen Gründen nicht Teil des Prozesses sein.

In den vergangen Wochen ging es darum, ob die Vorwürfe auch in den engen Grenzen einer Anklage vor Gericht bestehen könnten. Die Staatsanwaltschaft kam mit der Anklage auch einem riesigen öffentlichen Druck nach. Ihr Vorgehen war risikoreich: Die Anschuldigungen vieler Frauen konnten aus verfahrenstechnischen Gründen nicht Teil des Prozesses sein – übrig blieben sechs mutmaßliche Opfer. Dazu kam die Schwierigkeit, eine Jury von sexuellen Übergriffen nur anhand von Zeugenaussagen zu überzeugen.

Anklage In zwei Anklagepunkten schafften die Staatsanwältinnen Joan Illuzzi und Meghan Hast das trotzdem – ein auch rechtlich historischer Sieg. Zusammen mit den Zeuginnen der Anklage hätten sie «unser Justizsystem ins 21. Jahrhundert gezogen», lobte Bezirksstaatsanwalt Cyrus Vance.

Vance ist übrigens der Mann, der 2015 eine Anklage Weinsteins scheute, obwohl er im Besitz eines Audiomitschnitts war, in dem der nun Verurteilte sexuelle Nötigung einräumte. Vance hatte von Anwälten Weinsteins großzügige Spenden für seinen Wahlkampf als Bezirksstaatsanwalt erhalten.

Türkei

Berichte: Türkische Polizei verhaftet Mann, der Anschläge auf Juden plante

Der Tatverdächtige soll Befehle vom Islamischen Staat erhalten haben

 21.02.2025

London

Fasten und Beten gegen säkulare Bildung

Die ultraorthodoxe Gemeinde fürchtet die staatliche Kontrolle ihrer Schulen. Andere Juden finden gerade dies dringend nötig

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  17.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

USA

Die Hoffnung von San Francisco trägt Levi’s-Jeans

Dem beliebten Touristenziel geht es schlecht. Der Millionenerbe und Philanthrop Daniel Lurie soll es richten. Er ist der vierte jüdische Bürgermeister Westküstenmetropole

von Sarah Thalia Pines  16.02.2025

USA

Aus dem Schatten von Taylor Swift

Gracie Abramsʼ Stern scheint am Pophimmel gerade besonders hell. Das liegt nicht nur an ihrer besten Freundin

von Nicole Dreyfus  16.02.2025

Griechenland

Israelisches Paar in Athen angegriffen

Der Mann und die Frau sprachen auf der Straße Hebräisch – zwei arabischsprachige Männer attackierten sie mit einem Messer

 16.02.2025

Australien

Krankenpfleger drohen, israelische Patienten zu ermorden

Premierminister Anthony Albanese sagt, das Video sei »von Hass getrieben und widerlich.«

von Imanuel Marcus  14.02.2025

Polen

Ronald S. Lauder erhält Karski-Preis

Lauder wird für sein Engagement für die Erneuerung jüdischen Lebens in Polen und das Schoa-Gedenken geehrt

 13.02.2025

Künstliche Intelligenz

So Fake, aber so gut

Ein AI-generiertes, an den Antisemiten Kanye West adressiertes Video geht gerade viral. Und es ist eine Wohltat!

von Sophie Albers Ben Chamo  12.02.2025