Iran

»Unterschreib, oder du bist tot!«

Barry Rosen nimmt sich Zeit. Fast vier Stunden lang erzählt der 80-jährige Amerikaner aus seinem ereignisreichen Leben. Detailreich beantwortet er die Fragen des Journalisten, gibt Einblicke in die Zeit der iranischen Revolution vor 45 Jahren. Es ist ein Geschichtsunterricht der besonderen Art, denn Rosen ist nicht nur Experte. Er ist Teil der Geschichte, über die er spricht.

Der Spross einer orthodoxen Familie wächst in Brooklyn auf und geht auf eine Jeschiwa. Er interessiert sich für Politik und Geschichte. Vor allem der Iran hat es ihm angetan. Ende der 60er-Jahre lebt er dort zwei Jahre als Mitglied eines »Friedenskorps«, bereist das Land, lehrt Englisch und lernt Persisch. Eine prägende Zeit, sodass er nach seinem Eintritt in den diplomatischen Dienst als Presseattaché an die US-Botschaft in Teheran kommt.

Als Rosen dort 1978 seinen Dienst antritt, ist das Land in Aufruhr. Die Proteste gegen den autoritär regierenden Schah eskalieren. Noch ist unklar, wohin das Land steuert. Rosens Frau Barbara und die Kinder bleiben in den USA. Sie sollen später nachkommen. Doch schnell wird klar, dass daraus so bald nichts werden wird.

In diesem Augenblick schlägt eine Granate ein

Binnen weniger Wochen schwindet die Macht des Schahs. Mitte Januar 1979 verlässt er das Land, am 1. Februar kehrt der seit 1964 im Exil lebende Ajatollah Ruhollah Chomeini in den Iran zurück, wo Millionen Menschen ihn jubelnd begrüßen. Unter den Schaulustigen ist Barry Rosen.

Chomeini kündigt eine harte Linie an: »Unser endgültiger Sieg wird kommen, wenn alle Ausländer aus dem Land sind. Ich bitte Allah, allen bösen Ausländern und ihren Helfern die Hände abzuhacken.« Trotz der harschen Rhetorik glauben viele, es werde nicht so schlimm kommen.

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Zunächst sieht es danach aus. Zum Chef der Übergangsregierung ernennt Chomeini den liberalen Politiker Mehdi Bazargan. Doch die Botschaft der USA, des engsten Verbündeten des Schahs, wird zur Zielscheibe gewalttätiger Proteste. Am 14. Februar ruft Botschafter William Sullivan Barry Rosen zu sich ins Büro und teilt ihm mit, der Iran-Korrespondent der »Los Angeles Times« sei erschossen aufgefunden worden. Rosen solle sich um die Rückführung des Leichnams in die USA kümmern.

In diesem Augenblick schlägt eine Granate ein. »Die Wucht der Explosion hat uns beide umgehauen. Ich bin an einer Eichentür gelandet, der Botschafter unter seinem Schreibtisch«, erinnert sich Rosen. Für den Anschlag zeichnet eine linksex­treme Guerillagruppe verantwortlich. Ein Amerikaner stirbt. Drei Stunden lang ist die Botschaft in den Händen der Angreifer. Dann interveniert Irans Außenminister. Die Revolutionäre ziehen sich zurück.

Die Botschaft bleibt trotz Unruhen offen

An normales Arbeiten ist nicht mehr zu denken. Per Telex wird das State Department in Washington über die Lage ins Bild gesetzt: »Wir gehen hier unter.« Rosen geht in den Schutzraum der Botschaft und hilft mit, geheime Dokumente zu schreddern. Im Iran wächst der Hass auf Amerika. »Wir galten ja als Stütze des Schah-Regimes, hatten ein Militärabkommen mit ihm. Chomeini hat das ausgenutzt, um gezielt Stimmung gegen uns zu machen. Die Leute um ihn herum dachten, sie könnten ihn in Schach halten. Aber sie haben sich gewaltig geirrt. Chomeini hat die verschiedenen Gruppen geschickt gegeneinander ausgespielt.«

Trotz der Unruhen lehnt Washington die Schließung der Botschaft ab. Die Carter-Regierung will mit aller Macht verhindern, dass der Iran zum Feind und zum Verbündeten der Sowjetunion wird. Zwar zieht das State Department den Botschafter ab, doch ein Notbetrieb wird aufrechterhalten. Nach einem Heimaturlaub kehrt auch Rosen nach Teheran zurück. Doch die zur Bewachung abgestellten Marines reichen für den Schutz der Botschaft nicht aus. Die US-Diplomaten sind dem Wohlwollen der iranischen Regierung ausgeliefert. Und das nimmt rapide ab.

Er dachte, seine letzte Stunde habe geschlagen

Am 4. November 1979 stürmen erneut fanatische Studenten das Botschaftsgelände. »15 bis 20 Schläger kamen in mein Büro, fesselten mich mit den Vorhangkordeln, verbanden mir die Augen. Ich bekam Tritte in die Magengrube und wurde zu Boden geworfen«, erzählt Rosen. Er habe gedacht, seine letzte Stunde habe geschlagen.

Die Entführer wissen zunächst nicht, dass er der einzige Jude unter den rund 60 Geiseln ist. Ausgerechnet seine Lokalzeitung, die »New York Times«, macht diesen Fakt später publik – eine Tatsache, die Rosen auch 45 Jahre später noch aufregt. »Warum die das gemacht haben, weiß ich bis heute nicht! Es war ein schrecklicher Fehler.« Seine Frau sei damals regelrecht ausgeflippt«. Nicht ohne Grund, denn führende iranische Juden werden zu diesem Zeitpunkt bereits als Kollaborateure Israels denunziert, es kommt zu öffentlichen Hinrichtungen. Rosen hat Glück im Unglück.

Wie Trophäen präsentieren die Besetzer ihre gefesselten und mit Augenbinden versehenen Geiseln der Presse. Die Bilder gehen um die Welt, in Amerika schlägt die Woge der Empörung hoch, Demonstranten fordern die Ausweisung aller Iraner.

Die Haftbedingungen sind menschenunwürdig

Barry Rosen wird Ohrenzeuge, wie Chomeini im Radio die Studenten für ihre Aktion lobt und einer schnellen Freilassung der Geiseln nur unter der Bedingung zustimmt, dass der Schah an den Iran ausgeliefert werde. Damit ist klar: Das erhoffte schnelle Happy End wird es nicht geben.

Die Haftbedingungen sind menschenunwürdig. »Wir wurden zu zweit, zu dritt in einfachen Räumen in einem verlassenen Haus festgehalten. In jeder Zelle gab es einen Wachmann, der dafür sorgte, dass wir nicht miteinander sprachen. Mehrmals wurden wir verlegt und mit anderen Geiseln zusammengebracht.« So geht das monatelang. Nur ein einziges Mal – im Evin-Gefängnis – darf Rosen in den 14 Monaten der Geiselhaft eine Viertelstunde an die frische Luft. Sein einziger Lichtblick ist ein kleiner Vogel, der auf dem Fenstersims sitzt und zwitschert.

Doch es kommt noch schlimmer. »Wir wurden Verhören unterzogen und einer Scheinexekution. Als ich mich weigerte, ein Dokument zu unterschreiben, in dem ich zugab, ein Spion zu sein, der die iranischen Medien unterwandern wollte, nahmen sie mir die Augenbinde ab. Eine Waffe war auf mich gerichtet. ›Unterschreib, oder du bist tot!‹, sagten sie zu mir.«

»Wir wurden Verhören und einer Scheinexekution unterzogen.«

In Amerika setzt Rosens Frau Barbara alle Hebel in Bewegung, macht Druck auf Politiker. »Sie wurde richtig wild. Sie und die jüngeren Ehefrauen meiner Kollegen reisten durch die ganze Welt. Barbara traf sich sogar mit dem Papst und mit Bundeskanzler Helmut Schmidt. Der bat eine Person im deutschen Konsulat in New York, ständigen Kontakt zu Barbara zu halten.«

Des Öfteren fragt sich Rosen, ob der Albtraum je ein Ende finden würde und ob ein schneller Tod nicht humaner wäre als die quälende Geiselhaft. Im April 1980 endet eine militärische Befreiungsaktion im Fiasko für die USA. Acht Soldaten kommen bei dem Einsatz ums Leben. Bei der Präsidentschaftswahl sechs Monate später steht Jimmy Carter mit leeren Händen da und unterliegt Ronald Reagan. Doch er gibt nicht auf. Am 19. Januar 1981, Carters letztem Arbeitstag im Weißen Haus, kommt ein von Algerien vermitteltes Abkommen zustande, das die Freilassung der verbliebenen 52 Geiseln vorsieht – im Gegenzug für die Freigabe eingefrorener Gelder und Straffreiheit für die Geiselnehmer. Tags darauf, genau eine Stunde nach der Amtseinführung Rea­gans, kommen die Amerikaner frei.

Auch für Barry Rosen beginnt nun ein neues Leben. Steht er zunächst im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, tut er sich schwer, wieder Fuß zu fassen. Zu traumatisch war die lange Geiselhaft. Ein neues Posting im Ausland lehnt Rosen ab. Stattdessen quittiert er den diplomatischen Dienst und wird Dozent an der Columbia University. Er spricht öffentlich über die Geiselhaft, schreibt ein Buch und versucht so, das Erlebte zu verarbeiten.

Der Iran lässt ihn nicht los

Der Iran lässt ihn trotz allem nicht los. 1998 trifft er sich in Genf mit Abbas Abdi, einem seiner Geiselnehmer, der zwischenzeitlich zum Regimekritiker geworden ist. Er habe damals gedacht, dass die Zeit gekommen sei, ein neues Kapitel in den Beziehungen aufzuschlagen, sagt Rosen. Doch das Mullah-Regime unterdrückt alle Reformbestrebungen im Keim. Bis heute steht der Hass auf Amerika und Israel über allem.

Auch als Rentner ist Barry Rosen noch voller Tatendrang. Er engagiert sich bei der Organisation »United Against Nuclear Iran«. Im Frühjahr 2021 fliegt er nach Wien und tritt dort in einen Hungerstreik. Am Rande der Atomverhandlungen mit dem Iran will er so auf die Situation der zahlreichen westlichen Geiseln, die das Mullah-Regime nach wie vor festhält, aufmerksam machen. »Meine Botschaft ist klar: Kein Abkommen mit dem Iran, solange die Geiseln nicht frei sind!«

Mit dem Libanesen Nizar Zakka, der von 2015 bis 2019 Geisel des Mullah-Regimes war, gründet Rosen die NGO »Hostage Aid Worldwide« (HAW), die sich für die Freilassung von Entführten in aller Welt einsetzt. Dieses Engagement sei Teil seines Lebens geworden, sagt er. Das gilt erst recht seit den Hamas-Massakern am 7. Oktober 2023. Sofort erfasst Rosen das Ausmaß der Katastrophe und weiß, wie wichtig es ist, schnell zu handeln. Er greift zum Hörer, nimmt Kontakt mit Familienangehörigen von Entführten auf, organisiert Gespräche mit Medienvertretern und Offiziellen.

Aufgeben will er nicht

Im Juli kommt Rosen mit freigelassenen und Angehörigen noch festgehaltener Geiseln nach Brüssel, wirbt bei den EU-Institutionen für eine härtere Linie gegenüber staatlichen Geiselnehmern. Die Delegation wird zwar von EU-Beamten und Abgeordneten empfangen. Zufrieden ist Rosen danach jedoch nicht. Einige Gesprächspartner hätten unverblümt zu verstehen gegeben, dass sie sich mangels Zuständigkeit der EU nicht wirklich für das Thema interessierten. Als ehemaliger Diplomat habe er sich gefragt, wie das sein könne, es seien schließlich auch viele EU-Bürger unter den Geiseln. »Diese Einstellung hat mich erschüttert.«

Aufgeben will Rosen nicht. Auch mit 80 Jahren mischt er sich weiter ein, freundlich im Ton, aber deutlich in der Sache. Gegenüber dem Iran müsse Europa eine härtere Gangart einlegen, das sei die einzige Sprache, die Teheran verstehe, meint er. Er spricht aus leidvoller Erfahrung.

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