Ein als Nachtklub und Konzertsaal genutztes Gebäude, in dem der spanische Flamenco-Star Camarón de la Isla einst ein Konzert gab, hat sich als eine der wichtigsten mittelalterlichen Synagogen Spaniens entpuppt. In dem verlassenen Gebäude im historischen Zentrum der andalusischen Stadt Utrera in der Provinz Sevilla entdeckten Archäologen Überreste einer sefardischen Synagoge aus dem 14. Jahrhundert. Der Komplex gehört vermutlich zu den größten aus dem Mittelalter, die jemals auf der Iberischen Halbinsel gefunden wurden.
Ausgangspunkt für die Entdeckung waren die Beschreibungen des Priesters und Historikers Rodrigo Caro, der im Jahr 1604 über seine Heimatstadt Utrera schrieb, dass das dortige Krankenhaus auf den Ruinen eines jüdischen Bethauses errichtet worden sei. Nachdem sich die Juden auf der Iberischen Halbinsel 1492 per Edikt taufen lassen oder fliehen mussten, wurde im 16. Jahrhundert die einstige Synagoge in ein Krankenhaus umgewandelt. Später diente der Bau als katholische Kapelle, dann als Waisenhaus und zuletzt im 20. Jahrhundert als Schule, Restaurant, Diskothek und Konzertsaal. Alle äußeren Anzeichen dafür, dass das Gebäude einst eine Synagoge war, wurden ausgelöscht.
ARCHÄOLOGEN »Die wichtigen Bestandteile einer Synagoge, wie die Eingangshalle und die Überreste der Bänke, bestätigen, dass es sich um eine Gebetsstätte handelt«, erklärte der leitende Archäologe, Miguel Ángel de Dios, auf einer Pressekonferenz. Seit 2015 haben die Stadtbehörden von Utrera Dokumente und Archivmaterial durchforstet, um den möglichen Standort der mittelalterlichen Synagoge zu ermitteln.
Diese Nachforschungen führten zu dem Schluss, dass die Überreste der Synagoge unter einem verlassenen Gebäude im Stadtzentrum verborgen sein könnten, das bis vor zwei Jahrzehnten als Restaurant und Kneipe genutzt worden war. »Alle Utreraner haben hier irgendwann einmal gefeiert«, sagte De Dios der spanischen Tageszeitung »El País«.
Utreras Stadtverwaltung plant, die Anlage parallel zu den laufenden archäologischen Arbeiten bald für Besucher zu öffnen.
Die Stadt erwarb das Gebäude 2018 von einem privaten Eigentümer. Erste Untersuchungen ergaben, dass sich unter dem Bau die Überreste des Misericordia-Krankenhauses befinden, das nach der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 dort untergebracht war, und dass sich darunter die Überreste der Synagoge befinden könnten.
Die Synagoge war »ein einzigartiger, außergewöhnlicher Ort und ein Treffpunkt. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des emotionalen und kulturellen Erbes der Einwohner von Utrera«, sagt Bürgermeister José María Villalobos. Er würdigt die »bedeutende Unterstützung« durch die jüdische Gemeinde während der Ausgrabungsarbeiten, die im November 2021 begannen.
ENTDECKUNG Der Archäologe De Dios sprach von einer »außergewöhnlichen« Entdeckung und hebt hervor, dass bisher nur vier mittelalterliche Synagogen in Spanien offiziell anerkannt wurden: zwei in Toledo, eine in Segovia und eine in Córdoba. Die Ausgrabungsarbeiten werden fortgesetzt. Die Stätte könnte noch viele weitere Geheimnisse preisgeben, so De Dios. Gleichzeitig suchen die Archäologen nach weiteren jüdischen Gebäuden, die in der Nähe der Synagoge errichtet worden sein könnten, wie es in jüdischen Gemeinden üblich war.
Utreras Stadtverwaltung plant, die Anlage parallel zu den laufenden archäologischen Arbeiten bald für Besucher zu öffnen. Bürgermeister Villalobos sagte vor Journalisten, er hoffe, dass die Stätte Einheimischen und Besuchern gleichermaßen einen Einblick in die jüdische Geschichte Utreras und in die sefardische Diaspora geben werde. Im Jahr 1492 hatten die katholischen Könige Spaniens, Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, verfügt, dass die 200.000 Juden des Landes zum Christentum konvertieren oder vertrieben werden sollten.
»Die Geschichte der sefardischen Juden wurde lange Zeit praktisch ausgelöscht oder versteckt«, so De Dios. »Wir restaurieren einen sehr wichtigen Teil der Geschichte – nicht nur der Stadt Utrera, sondern auch der Iberischen Halbinsel.« Die Synagoge sei »wie ein Fenster oder ein Megafon, durch das das spanische Judentum sprechen kann. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, und wir sollten uns nicht zu sehr auf das Gebäude und seine vier Wände versteifen.«