Seit dem 1. Januar sorgt die neue ungarische Mediengesetzgebung weltweit für Aufsehen. Nicht nur betroffene Journalisten, sondern auch die europäischen Partner Ungarns protestierten lautstark, darunter die deutsche Bundesregierung. Das Gesetzeswerk, das erst am 21. Dezember verabschiedet wurde, sieht eine umfassende Kontrolle der gesamten Medienlandschaft einschließlich Internetportalen vor. Besonders kritisiert werden die Schaffung einer starken Behörde mit umfangreichen Befugnissen sowie eine Reihe von unklaren Formulierungen. Furore machte etwa die Forderung, die Medien müssten »ausgewogen« beziehungsweise »schnell, genau und glaubwürdig« berichten. Tun sie das nicht, sieht das Gesetz eine Verpflichtung zur Gegendarstellung und im Ernstfall drakonische Geldstrafen vor.
Schwammig Die vom Gesetz unmittelbar betroffenen ungarischen Journalisten sind vor allem eines: ratlos. Zwar sieht das Mediengesetz keine direkte Zensur vor, und auch die Regierung darf wie bisher auch ungeniert kritisiert werden, aber die Folgen davon sind derzeit noch nicht absehbar. Die schwammigen Formulierungen jedenfalls öffnen Tür und Tor für den Missbrauch, ist man sich in Fachkreisen einig. Da helfen auch die Beteuerungen der Regierung und der Medienbehörde nicht viel; zu oft schon sei der Vertrauensvorschuss gegenüber der erst im Mai vergangenen Jahres angetretenen Regierung Orbán von dieser missbraucht worden, lautet ein häufiger Vorwurf.
Dementsprechend vorsichtig gibt man sich in den Kreisen des offiziellen ungarischen Judentums. Auf Anfrage lehnt die Redaktion von Új Élet, dem Organ der Allianz der jüdischen Kultusgemeinden Ungarns (MAZSIHISZ), jeglichen Kommentar zum Mediengesetz ab. Offenbar will man es sich mit den Regierenden nicht verscherzen.
Kämpferischer gibt sich János Gadó von der renommierten jüdischen Monatszeitschrift Szombat: »Ich werde nichts an meiner Arbeitsweise ändern. Ich will ja nicht der Regierung gefallen, sondern unseren Lesern.« Über das Mediengesetz selbst hat Gadó eine eindeutige Meinung: »Das Gesetz ist mit dem Ziel der Einschränkung der Redefreiheit geschaffen worden.« Für Gadó ist es eine Frage der Zivilcourage, ob sich die Medien einschüchtern lassen oder nicht.
Zivilcourage Auch György Vári, ein umtriebiger Publizist und Literaturwissenschaftler und eine der Stimmen des jungen jüdischen Budapest, hält das Gesetz für »eine Schande«. »Die gesetzlichen Garantien sind gefallen, der ungarische Journalismus hängt vom guten Willen einiger parteipolitisch gebundener Leute ab. Das ist auch dann unannehmbar, wenn sie so gnädig sind und eine freie Presse zulassen.«
Anders sieht es Annamária Szalai, die allmächtige Vorsitzende der neuen Medienbehörde NMHH und ihres Exekutivorgans, des Medienrates. In einem Interview mit der regierungsnahen Zeitung Magyar Nemzet beteuerte sie, dass ihre Behörde nicht untersuchen werde, was Zeitungen in ihrer Kolumne schreiben oder »wie viele Abgeordnete der Regierungsfraktion und der Opposition zu Wort kommen«. Vielen Journalisten fällt es schwer, Szalais Worten Glauben zu schenken. Bereits Ende des vergangenen Jahres, noch vor Inkrafttreten des Gesetzes, wurde Mitarbeitern der Tageszeitung Népszabadság nach einem kritischen Bericht über Szalai der Zutritt zu einer Pressekonferenz von Ministerpräsident Viktor Orbán in London verwehrt, wenige Tage später wurde ein Fotograf der Zeitung aus dem Gebäude der Medienbehörde verwiesen.
Immerhin sieht György Vári keine Gefahr einer antisemitischen Nutzung des neuen Gesetzes. »Die Regierung ist zwar autoritär, schafft Kontrollinstanzen ab und macht eine Politik gegen die Armen, aber antisemitisch ist sie nicht«, sagt Vári.
Angst vor einer besonders kritischen Behandlung jüdischer Zeitungen durch die neue Behörde hat auch Szombat-Redakteur János Gadó nicht. »Das Echo einer Belästigung jüdischer Medien wäre groß«, so die Einschätzung Gadós, der sarkastisch anmerkt, dass eine Unterstützung seiner Zeitung durch die Regierung viel gefährlicher wäre als eine Bedrohung. Sehr viel mehr Sorgen bereitet ihm die finanzielle Situation von Szombat. Auf der Homepage der Zeitschrift bittet Chefredakteur Gábor T. Szántó die Leser um die »Rettung« des Blattes mithilfe einer Spende oder eines Abonnements. Im Zusammenhang mit dem Mediengesetz merkt János Gadó an: »Wir ha- ben keinen Spielraum, schon eine Strafe in Höhe von 15- bis 20.000 Euro könnte uns in die Knie zwingen.«