Frau Josem, das Jewish Holocaust Museum and Research Centre in Melbourne hat sich dem »Jewish Life in Germany Today« gewidmet. Was hat Sie an diesem Thema interessiert?
Die deutsche Botschaft hat uns diese Ausstellung angeboten. Und obwohl sich unser Museum dem Holocaust widmet, waren wir doch sehr daran interessiert, die Wiedergeburt des jüdischen Lebens in Deutschland zu thematisieren. Ganz nebenbei werden auch Themen wie Aussöhnung oder der Umgang mit der Vergangenheit angesprochen. Deutschland ist damit beispielsweise anders umgegangen als Österreich. Die Österreicher haben sich lange Zeit als Opfer gesehen und erst später gelernt, auch Verantwortung zu übernehmen.
Was wissen Australier heute über jüdisches Leben in Deutschland?
Nicht besonders viel. Aber die Ausstellung hilft dabei, ein Bild des heutigen Deutschland zu bekommen. Viele Israelis leben dort und bringen Leben in die jüdische Kultur. Aber es ist ein Unterschied, ob man in Deutschland lebt und sein Judentum versteckt, oder ob man es offen zeigt. Wir hören natürlich auch die Nachrichten von antisemitischen Angriffen und schätzen es sehr, dass die Bundesregierung mit Felix Klein einen Beauftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus benannt hat. Dass jüdisches Leben wieder wächst, ist hoch erfreulich. Dass aber auch der Antisemitismus zunimmt, ist schrecklich.
Wie ist die Situation in Australien – sollte es dort auch einen Antisemitismus-Beauftragten geben?
Bei uns gibt es auch Vorfälle, aber bei weitem nicht auf diesem Niveau. Es ist nicht so, dass es keinen Antisemitismus gibt, aber noch sieht die australische Regierung keine Notwendigkeit für ein Amt wie das von Felix Klein.
Gibt es eine große deutsch-jüdische Gemeinschaft in Australien?
Viele haben deutsche Vorfahren. Aber Juden deutscher Herkunft haben ein kompliziertes Verhältnis zum Land. Denn es ist auch ihr kulturelles Erbe. Wir haben unsere Wurzeln in Deutschland. Nicht in Polen oder Ungarn. Und das spiegelt sich zum Beispiel im Essen und in der Sprache, die unsere Verwandten sprechen.
Sie haben also auch deutsche Vorfahren?
Ja, meine Familie lebte ursprünglich in Kassel. Es ist das Land, das meine Urgroßmutter Emma und meine Großmutter Tilly einst ihr Zuhause nannten. Es ist das Land, das sie zurückgewiesen hat. Ich habe Kassel einmal besucht und habe mich im Zug sehr unwohl gefühlt, habe das Fehlen jüdischen Lebens wahrgenommen, als ich durch die Straßen ging. Die einzigen beiden Dinge, an denen ich mich orientieren konnte, waren zwei Erinnerungsorte von Horst Hoheisel.
Haben Sie sich auf Spurensuche nach Ihrer Familie begeben?
Es gibt ein Buch über das Schicksal von Juden in Kassel. Neben dem Namen meiner Urgroßmutter Emma Heiser ist »spurlos verschwunden« vermerkt. Aber ich bin mir sicher, dass es eine Spur geben muss. Ich suche noch immer danach. Sie wurde nach Riga deportiert, und ich möchte im kommenden Jahr nach Riga fahren, um nach dieser Spur zu suchen. Denn ein anderer wird es nicht für mich machen. Vielleicht werde ich in Kassel anfangen und mich mit dem Künstler Horst Hoheisel treffen, wenn er Lust hat.
Mit Jayne Josem sprach Katrin Richter.
Weitere Informationen unter:
www.jhc.org.au/news-and-events/news-from-the-jhc/item/631-jewish-german.html