Gelblicher Staub liegt in der Luft. Von der Mirzagha-Aliyev-Straße ist nur die Häuserzeile auf der rechten Seite geblieben. Links gähnt eine Baugrube. Ein Bagger schiebt die Trümmerreste der einstigen Wohnhäuser zusammen. Drei Männer stehen im Schatten eines grauen Flachbaus und schauen zu. Der Älteste trägt einen weißen Bart und einen schwarzen Anzug. Er stellt sich als Rabbiner Ruven Ismailov vor. Auch die beiden anderen gehören zur jüdischen Gemeinde Baku: Samuel Simantov, Mitte 40, und Zamir Ishev, Anfang 30, Lehrer an der jüdischen Schule und gelernter Programmierer.
Die drei sind sofort zu einem Gespräch bereit und bitten hinein ins Gemeindezentrum, in einen länglichen Raum, den Bücherregale, ein Lesepult und Tischreihen füllen. In der Luft liegt Knoblauchgeruch. Vor wenigen Minuten sei ein Fest mit Schülern zu Ende gegangen, entschuldigen sich die Männer für die Unordnung im Raum.
abriss Die Baugruben und das Chaos draußen vor dem Haus störten sie nicht, sagen die Männer. Schon seit Jahren müssten alte Wohnhäuser und ihre Bewohner modernen Gebäuden und neuen Straßen weichen. Ein von reichlichen Öleinnahmen getriebener Bauboom verändert die Stadt. Zahlreiche Bürger beklagen, sie seien nicht angemessen entschädigt worden oder hätten keine adäquate Unterkunft bekommen. Nicht so die drei Gemeindevertreter. »Nirgendwo auf der Welt wurde für abgerissene Häuser so viel bezahlt«, betont Samuel Simantov. Ihre neue Synagoge auf der anderen Seite der Baustelle sei viel größer und schöner als die alte. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew habe sie 2011 errichten lassen.
»Wir sind sehr froh darüber, wie sich der Präsident um die Juden kümmert«, sagt Simantov. Man sei »sehr dankbar«. Uneinig sind sich die Männer nur darin, wie schnell der Synagogenbau voranging: sechs Monate meint Rabbiner Ismailov, drei sagt Simantov.
Dann preisen sie die Toleranz der überwiegend schiitischen Muslime Aserbaidschans gegenüber den Juden im Land. Neben den rund 10.000 Bergjuden gibt es einige Tausend georgische und europäische Juden in der früheren Sowjetrepublik.
Anpassung ist der Preis für das ungestörte Leben der Gemeinden im Land. »In politischen Fragen stehen wir immer an der Seite der Aserbaidschaner, zum Beispiel auch im Konflikt um Berg-Karabach. Entsprechend hat man uns behandelt«, erklärt Zamir Ishev. Um die Berg-Enklave Karabach führten Aserbaidschan und der Nachbar Armenien Krieg, als die Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre zerfiel.
autoritär Ein weiterer Grund für das harmonische Zusammenleben in dem autoritär regierten Staat ist, dass sich die jüdischen Gemeinden von der Macht fernhalten. Samuel erläutert: »Uns prägt, dass wir mit der aktuellen Politik nichts zu tun haben dürfen. Hohe Ämter interessieren uns nicht. Deshalb brauchen wir auch keine sogenannten Kontakte. Kontakt haben wir zu Gott.« Gemeint sind Beziehungen, die für einen Aufstieg in höhere Positionen noch immer unerlässlich sind.
Auf der anderen Seite hat die Regierung großes Interesse daran, ihre Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten herauszustellen. Außenpolitik ist für das Neun-Millionen-Einwohner-Land von der Größe Österreichs eine Herausforderung – liegt es doch strategisch wichtig am Kaspischen Meer zwischen Russland und dem Iran. Neben der Türkei als ebenso turksprachigem Bruderstaat spielt der Westen eine große Rolle in der Balancepolitik, die Aserbaidschan seit Jahren betreibt.
So unterhält Baku auch gute Beziehungen zu Israel – zum beiderseitigen Vorteil. Denn Aserbaidschan ist als Gas- und Öllieferant wichtig, ebenso als Verbündeter an der Nordgrenze zum Iran. Ende Februar ließ ein israelisch-aserbaidschanischer Waffendeal im Umfang von 1,6 Milliarden US-Dollar aufhorchen. Experten gehen allerdings davon aus, dass die Waffen vor allem für den Konflikt mit Armenien gedacht sind.
iran Trotz schwieriger Beziehungen zu Iran will die Regierung in Baku keinen Konflikt mit dem südlichen Nachbarn. Das betont Novruz Mammadov, der im Präsidentenbüro die Abteilung für Außenpolitik leitet. Als Gerücht weist er einen Bericht des Magazins »Foreign Policy« zurück. Darin heißt es, Israel könne im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Iran aserbaidschanische Luftwaffenbasen nutzen. Zwar sind gute Beziehungen zu Israel bedeutend. Wichtiger ist es jedoch, kein Risiko gegen den Iran einzugehen, meinen Experten in Baku.
Die Juden in Aserbaidschan setzen darauf, dass das Verhältnis ihres Landes zu Israel auch in außenpolitisch schwierigen Zeiten gut bleibt. Für Samuel, der auch einen israelischen Pass hat, ist es eine »Freundschaft zwischen zwei Heimatländern. Das begünstigt unseren speziellen Status hier.«
Keine große Rolle wird es jedoch für die Gemeinde spielen, wenn Ende des Monats auch jüdische Sänger aus Israel und der Türkei zum Eurovision Song Contest nach Baku kommen, dem Großereignis in Aserbaidschan. »Um diese Zeit sind unsere religiösen Trauertage«, erklärt Rabbiner Ismailov. »Wir spielen in dieser Zeit keine Musik und sehen nicht fern.« Dann verabschieden sich die drei Herren freundlich von ihren Gästen und stellen sich wieder vor die Tür, um weiter den Abriss auf der anderen Straßenseite zu beobachten.