Herr Traison, ist Donald Trump eine Gefahr für die Demokratie?
Bis Dienstag hätte Ihnen mit einem klaren Ja geantwortet, weil auch ich Sorge habe, dass unser ganzes demokratisches System durch Trump ins Wanken gebracht werden könnte, wenn er wieder Präsident ist.
Warum nur bis Dienstag?
Ich mache mir natürlich weiterhin große Sorgen um die Zukunft. Aber seit Mittwoch muss mich mit der Realität auseinandersetzen. Und ich werde jetzt nicht einfach wie ein Häuflein Elend zu Boden sinken, sondern darauf hoffen, dass alles nicht so schlimm kommt wie gedacht.
Sie haben sich viel mit der Rolle von Diktatoren und Demagogen in Demokratien im Europa des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigt und besonders mit dem Aufstieg des Faschismus. Kann man Trump wirklich mit Benito Mussolini vergleichen?
Es gibt Unterschiede, das ist bei jedem Vergleich so. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber, wie Mark Twain einst sagte, sie reimt sich. Im Stil, in der Dynamik und im Auftreten Trumps gibt es durchaus Ähnlichkeiten mit Mussolini. Was die Leute oft übersehen, ist, dass Trump ein Geschöpf unserer Zeit ist. Er ist das, was die Leute hier und heute in ihm sehen wollen. Es wäre ein Fehler, auf nur auf seine Persönlichkeit zu starren. Trump ist eine Art Golem.
Welche Folgen hat Trumps Wahlsieg für die Beziehungen zwischen den USA und Israel? Wird er in der Lage sein, zum Frieden im Nahen Osten beizutragen?
Niemand hat eine Kristallkugel, und dieser Mann ist besonders unberechenbar. Es wäre töricht von mir, die Zukunft vorherzusagen. Noch ist er ja nicht einmal im Amt.
Wird er auf dem diplomatischen Parkett anders auftreten als zum Beispiel Joe Biden? Er hat ja versprochen, schnell Frieden zu schaffen in der Ukraine und auch in Gaza.
Sagen wir es mal so: Er glaubt sicherlich, dass sein disruptives Verhalten, bei dem niemand so recht weiß, was er als Nächstes tun wird, und mit dem er seine Gesprächspartner zu überrumpeln versucht, zu seinen Gunsten wirkt. Ob das funktionieren wird, bezweifle ich.
Glauben Sie, dass er in der Lage sein wird, das zu liefern, was die Menschen, die ihn gewählt haben, erwarten?
Der Unterschied zwischen der ersten Amtszeit und der zweiten dürfte groß sein. Viele der Berater in der ersten Periode waren ja keine Trump-Leute, sondern Fachleute aus Militär, Politik und Verwaltung. Die meisten von ihnen waren der Demokratie verpflichtet. Aber Trump hat all diese Leute gefeuert, einen nach dem anderen. Heute haben seine »Gatekeeper«, seine Aufpasser, wenn ich das mal so formulieren darf, nicht das gleiche Niveau. Ob sie ihn einhegen und ihm gute Ratschläge werden geben können, lässt sich noch nicht sagen. Ich glaube eher nicht. Wir müssen aufhören, auf die Einzelperson Trump zu starren. Wir müssen auf das schauen, was die Menschen von ihm erwarten. Und die erwarten zunächst einmal einen ähnlichen Regierungsstil, wie Putin ihn in Russland pflegt oder Orbán in Ungarn oder Netanjahu in Israel.
Geht es da in erster Linie um das Auftreten, um Stilfragen, um Unterhaltung, um Brot und Spiele? Wollen Trumps Wähler denn nicht auch eine andere Politik?
Das ist eine gute Frage. Ich habe keine einfache Antwort darauf. Gute Verkäufer haben die Menschen schon immer fasziniert, auch Populisten sind keine Neuheit, das gab es schon zu Zeiten der industriellen Revolution. Es gibt Romane, die darüber geschrieben wurden, zum Beispiel »Das ist bei uns nicht möglich« von Sinclair Lewis oder das Buch von Philip Roth, »Verschwörung gegen Amerika«. Das sind fiktionale Versionen, aber sie wurden sicherlich als Ergebnis einer intensiven Studie des Verhaltens bestimmter Politiker geschrieben.
Was macht speziell Trumps Erfolg aus?
Die Amerikaner sind sehr empfänglich für Unterhalter. Und er ist einfach einer der erfolgreichsten Marktschreier, wie man hier sagen würden, einer der erfolgreichsten Verkäufer aller Zeiten. Er ist so erfolgreich, dass sie eine TV-Serie für ihn entwickelten, die sehr gut ankam, The Apprentice. Zum zweiten muss man sagen: Er hat viele Menschen von seinen inhaltlichen Positionen überzeugt. Er gilt zum Beispiel als pro-israelisch und pro-jüdisch, obwohl auch jene mit ihm sympathisieren, die Juden und andere Minderheiten hassen. Ich kenne Leute, die sehr jüdisch sind und Trump unterstützen, weil sie ihm abnehmen, dass er pro-israelisch sei.
Ist er das etwa nicht?
Vielleicht für Netanjahu und dessen Regierung. Aber ich glaube nicht, dass er gut für Israel ist.
Dabei hat er doch die Abraham-Abkommen ermöglicht …
Die kamen während seiner Amtszeit zustande, das stimmt. Aber es gab auch noch andere Faktoren. Die Vorarbeit wurde von Israel geleistet, lange bevor Trump überhaupt an die Macht ankam. In Wahrheit war das ein israelisches Projekt. Und man muss bedenken: Diese Abkommen wurden mit Ländern geschlossen, die keine Demokratien sind. Darüber wird kaum gesprochen. Trump hat Diktatoren, Fürsten, Könige, diese Art von Leuten, umarmt, weil man mit denen leicht Deals machen kann. Geld spielte da auch eine wichtige Rolle. Auch zu Putin hat er eine enge Beziehung. Es wird berichtet, dass die beiden während Bidens Amtszeit miteinander in Kontakt geblieben sind, was ich zuvor noch nie von einem ehemaligen Präsidenten gehört habe.
Zwei Drittel bis drei Viertel der jüdischen Wähler haben erneut für Kamala Harris gestimmt. Es war die mit Abstand stärkste Unterstützung für die Demokratin von allen religiösen Gruppen in Amerika. Warum ist das so?
Im Grunde befinden wir uns immer noch in einer Phase, in der Ethik und Werte der jüdischen Bevölkerung stark beeinflusst sind durch unsere Geschichte und die Erfahrung von Verfolgung, Entrechtung und Flucht. US-Juden waren ja Teil der Bürgerrechtsrevolution. Die meisten waren schon immer humanistisch gesinnt und auch demokratisch. Das hat nun begonnen zu erodieren, durch den zunehmendem Abstand zu den geschichtlichen Erfahrungen, zu jenen Zeiten, in denen Juden in Diktaturen gefährdet waren. Hinzu kommt: Heute sind Juden in Amerika nicht in Gefahr, sie sind Teil des Establishments geworden.
Obwohl der Antisemitismus auch in Amerika existiert?
Wenn ich mit meiner Kippa oder meinem Anstecker für die Geiseln durch die Straßen Chicagos gehe, greift mich niemand an. Natürlich werden Ihnen die Fundraiser der jüdischen Organisationen etwas ganz anderes erzählen, aber es gibt so gut wie keinen institutionellen Antisemitismus mehr in Amerika. Wir haben ein halbes Dutzend jüdische Gouverneure, und bis vor einigen Jahren waren drei von neun obersten Richtern jüdisch. Das sagt doch alles.
Mit dem Chicagoer Rechtsanwalt, Philantropen und Vorstandsmitglied der International Association of Jewish Lawyers and Jurists sprach Michael Thaidigsmann.