Liebe geht bekanntlich durch den Magen, und Gaumenfreude kann die Fantasie beflügeln. So kam es, dass vor 20 Jahren ein Chabad-Rabbiner aus Barcelona auf einer Weinmesse in Paris am Wein einer kleinen katalanischen Winzergenossenschaft Gefallen fand und deren Chef bat, koscheren Wein herzustellen. Sie legten damit, wahrscheinlich unbewusst, die Grundlage für eine enge Zusammenarbeit, die inzwischen reife Früchte trägt: vielfach prämierten koscheren Wein aus dem südkatalanischen Dörfchen Capçanes im Weinbaugebiet Montsant.
»Unser Wein hat dem Rabbiner einfach geschmeckt«, erklärt die energische, redegewandte Vanessa Diaz Meyer von der Marketingabteilung der Genossenschaft Celler de Capçanes.
Aber was danach kam, war alles andere als einfach: Als Erstes musste die Genossenschaft Tanks aus Edelstahl anschaffen. Bis dahin verwendete man Behälter aus Zement. Doch das ist bei der Herstellung koscheren Weins verboten. Richtig spannend wurde es ein paar Jahre später, 2001, als das eigenständige Weinbaugebiet DO Montsant eingerichtet wurde, wozu auch Celler de Capçanes gehört. Die 80 Winzer der Genossenschaft weiteten damals ihre Aktivitäten aus, mussten aber dafür bei der Bank einen beachtlichen Kredit aufnehmen – mit ihren Weinfeldern als Pfand. Damit sind sie ein großes Risiko eingegangen, denn es war nicht abzusehen, wie sich die Produktion und Vermarktung koscheren Weins entwickeln würden. Doch die Winzer hatten das richtige Gespür.
Vielfalt Mit der Zeit hat sich der Vertrieb koscheren Weins, der etwa zehn Prozent der gesamten Produktion an abgefüllten Flaschen ausmacht, als kommerziell richtig erwiesen. Für den Celler de Capçanes bedeutet er jedenfalls ein Vorher und ein Nachher. »Denn auf Basis dieses Weins haben wir auch eine ganze Skala an hervorragenden nichtkoscheren Weinen entwickelt«, sagt Diaz Meyer.
Mit dem angrenzenden Weinbaugebiet Priorat, das es fast völlig umschließt, gehört DO Montsant zu den ältesten Weingegenden Kataloniens. Es liegt etwa 50 Kilometer westlich der Touristenhochburg Salou. Aber vom dortigen Strandtrubel ist in der beschaulich gebirgigen Gegend nichts zu spüren. Die kaum 400 Dorfbewohner sind ziemlich zurückhaltend. »Das Lebensmotto hier könnte lauten: Unbekannt bleibt unverlangt«, erzählt Vanessa Diaz Meyer, die vor einigen Jahren selbst zugezogen ist und lacht. »Umso verwunderlicher ist es, dass die Genossenschaft und Chabad Lubawitsch einander auf kommerzieller Ebene gefunden haben.«
Während der Führung durch die 1933 erbaute Kellerei zeigt Diaz Meyer auf eine verriegelte Gittertür, die zusätzlich versiegelt ist mit einem Plastikband. Darauf steht in hebräischen Lettern das Wort »koscher«. Hier lagert der koschere Wein. Der Türschlüssel zum Keller befindet sich in Barcelona. Den trägt der Rabbiner bei sich. Ohne seine Aufsicht oder die seiner Mitarbeiter haben die Winzer hier keinen Zutritt.
Auch die Verarbeitung der Trauben ist ausschließlich Sache der Lubawitscher. Solange die Trauben an den Hängen wachsen, darf jeder in den Feldern mitarbeiten. Ebenso bei der Weinlese. Aber von dem Moment an, da die Trauben in die Tanks kommen, dürfen nur der Rabbiner und seine Mitarbeiter direkt in den Prozess eingreifen. Allerdings begleitet seit 20 Jahren ein erfahrener Önologe aus Deutschland das Ganze.
Wenn die Lese eingefahren wird, kommen bis zu vier Mitarbeiter von Chabad aus Barcelona nach Capçanes. Sie übernachten im Dorf, bis die meiste Arbeit erledigt ist. »Sie bringen immer ihr eigenes Essen mit, weil niemand hier eine koschere Küche führt«, sagt Diaz Meyer. Nach der Weinernte und der Verarbeitung, wenn weniger Arbeit anfällt, kommt meistens nur noch ein Chabad-Mitarbeiter aus Barcelona herüber, gewöhnlich mit dem Zug, schaut nach dem Rechten und fährt im Laufe des Tages wieder nach Barcelona zurück.
Der Aufwand lohnt sich, denn »der Capçanes-Wein schmeckt erstklassig«, sagt Rabbiner Dovid M.M. Libersohn. »Unsere Arbeit beschränkt sich aber auf die Lese und den Verarbeitungsprozess. Wir sind sozusagen die Hände und Arme des Önologen. Aber der koschere Wein ist und bleibt Eigentum der Genossenschaft, die ist verantwortlich für die Vermarktung.«
Der wirtschaftliche Vorteil an dieser Zusammenarbeit besteht für die Lubawitscher darin, dass die Genossenschaft ihnen für den Hechscher, das Koscher-Zertifikat, zahlt. Der habe durchaus seinen Preis, sagt Vanessa Diaz Meyer, wie jede Art von Qualitätskontrolle oder Zertifizierung. »Es versteht sich von selbst, dass wir den Koscherstempel nur dann bekommen, wenn wir uns an die Vorschriften halten und zum Beispiel ausschließlich Trauben ernten von Reben, die mindestens vier Jahre alt sind. Das sind die besten, denn jüngere Rebstöcke sind meistens weniger stabil.«
Export Nach 20 Jahren Knochenarbeit hat sich die Genossenschaft mit ihrem edlen Tropfen in der Welt des koscheren und auch des nichtkoscheren Weins einen Namen gemacht. Die Weine des Celler de Capçanes sind vielfach prämiert, in Spanien wie im Ausland. Von dem amerikanischen Weinpapst Robert Parker bis hin zur deutschen Fachzeitschrift Selection – alle loben sie den koscheren Wein des Celler de Capçanes, den die Genossenschaft in mehr als 30 Länder exportiert, darunter auch nach Deutschland.