Das Kölner Beschneidungsurteil lässt in Österreich vor allem in den Foren diverser Internetmedien die Wogen hochschlagen: das Spektrum der Diskussionsbeiträge reicht von militant vorgetragenem Atheismus über Fremdenfeindlichkeit, die sich gegen muslimische Zuwanderergruppen richtet, bis zu Antisemitismus. Das Justizministerium beeilte sich inzwischen, festzustellen, dass die aktuelle Rechtslage die Beschneidung nicht unter Strafe stellt.
Doch es gibt erste konkrete Auswirkungen des deutschen Gerichtsbeschlusses. Am Dienstag hat der Landeshauptmann von Vorarlberg, Markus Wallner von der christlich- konservativen ÖVP, auf Drängen der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) alle Landeskrankenhäuser angewiesen, vorläufig keine religiös motivierten Beschneidungen mehr durchzuführen.
militant Einer Gruppe in Österreich scheint die deutsche Diskussion um die Praxis der Beschneidung mehr als willkommen: der »Initiative gegen Kirchenprivilegien«, die aktuell für ihr »Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien« mobilisiert. Sie tritt gegen die Beschneidung von Kindern ein und will diese durch ein Gesetz verbieten lassen. Der Sprecher der Initiative, Niko Alm, ein Werbefachmann, der sich als Laizist bezeichnet, erklärte in einer Pressekonferenz, »in einem Rechtsstaat müssen Menschenrechte über dem Recht religiöser Gruppen stehen«. Für ihn ist die religiöse Beschneidung »eine religiöse Markierung oder Körperverletzung«. Alm fordert eine gesetzliche Regelung der Beschneidung. Diese sollte demnach erst erlaubt sein, wenn der Betroffene selbst entscheiden kann, etwa bei Eintritt der Religionsmündigkeit, die in Österreich im Alter von 14 Jahren erreicht ist, oder bei Erreichen der Volljährigkeit.
Alm trat mit seiner Forderung nicht alleine an die Öffentlichkeit. Der Urologe Pavel Konecny bezeichnete an seiner Seite die religiöse Beschneidung als »verstümmelnden Eingriff an nicht einwilligungsfähigen Menschen«. Die Rechtsanwältin Eva Plaz sagte, ihre rechtliche Einschätzung sei, »dass weder die Religionsfreiheit noch das Erziehungsrecht der Pflegeberechtigten diesen Eingriff in die körperliche Integrität des nicht einwilligungsfähigen Kindes rechtfertigen kann«.
Und die Initiative ließ auch eine muslimische und eine jüdische Stimme vor den Vorhang treten. Cahit Kaya, »Exmuslim« mit türkischen Wurzeln, berichtete, dass seine Beschneidung im Volksschulalter zu Schlafstörungen geführt habe. Amen Ronald Oberhollenzer, nach eigener Definition »jüdischer Aktivist gegen Beschneidung«, begründet seine Ablehnung mit der »offensichtlichen Grausamkeit der Tat«. Oberhollenzer ist selbst allerdings nicht beschnitten, weil, wie er erklärt, »ich von meiner jüdischen Mutter als Säugling aufgegeben und im Alter von sechs Jahren von einer christlichen Familie adoptiert worden bin«.
stereotype Einer, dem vor allem der in den sozialen Netzwerken geäußerte »atheistische Fundamentalismus« sauer aufstößt, ist der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger (Universität Wien). Er selbst bezeichnet sich als »toleranten Atheisten« und ortet in jenem neuen Atheismus, der nichts mit dem historischen der Arbeiterbewegung und Aufklärung zu tun hat, wo es vor allem um Herrschaftskritik ging, ein Anknüpfen »an jahrhundertealte antisemitische Stereotype von angeblich blutrünstigen und archaischen Praktiken«. Er fordert das Eintreten für Religionsfreiheit, »um der weiteren Diabolisierung von muslimischen und jüdischen Eltern etwas entgegenzusetzen«.
Richard Potz, Leiter des Instituts für Religionsrecht an der Uni Wien, gibt zu bedenken, dass das Argument des Kölner Gerichts, wonach das Erziehungsrecht der Eltern nicht beeinträchtigt wird, wenn sie abwarten müssen, ob sich der Sohn später selbst für die Beschneidung entscheidet, »die Bedeutung der Zirkumzision für die jeweilige religiöse Identität in unzulässiger Weise herunterspielt«.
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Oskar Deutsch, zeigt sich angesichts der Beschneidungsdebatte, die sich mittlerweile im deutschsprachigen Raum entwickelt, »sehr gelassen«. Aus seiner Sicht wird die Diskussion »von fundamentalistischen Anti-Religiösen« betrieben. Das Recht auf freie Religionsausübung stehe aber in der österreichischen Verfassung. Und der Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Schlomo Hofmeister, ein gebürtiger Münchner, der gleichzeitig auch als Mohel tätig ist, bekräftigt: Er werde weiter beschneiden – auch in Deutschland. Für den 37-Jährigen hat der Spruch des Kölner Landgerichts »weder legislative Autorität noch präjudiziellen Charakter«.
krankenhäuser In der Schweiz hat der Kölner Gerichtsbeschluss allerdings schon erste praktische Auswirkungen gezeitigt. Das Zürcher Kinderspital hat beschlossen, vorerst keine Beschneidung mehr an jüdischen und muslimischen Jungen vorzunehmen. Das Spital beruft sich dabei aus- drücklich auf die Kölner Beschneidungsentscheidung. Man wolle zuerst abklären, ob der religiös motivierte Eingriff nicht »rechtlich und ethisch« das Wohl der kleinen Patienten in der Schweiz beeinträchtigen würde, zitieren Schweizer Medien den Sprecher des Zürcher Krankenhauses, Marco Stuecheli. Das beeinträchtige aber nicht die Möglichkeit einer Beschneidung, sagte Stuecheli, denn die »meisten jüdischen Patienten würden zu Spezialisten gehen«, die innerhalb der Gemeinschaft bekannt seien.
Bisher habe das Zürcher Kinderspital »nur ein bis zwei Beschneidungen im Monat aus religiösen Gründen« durchgeführt. Das Kinderspital St. Gallen könnte nach dem Sommer dem Züricher Beispiel folgen. Auch dort erwägt die Krankenhausleitung, den Eingriff vorerst nicht auszuführen. Dagegen hat das Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) in einer Presseerklärung klargestellt, dass sich an der derzeitigen Praxis, die rituelle Zirkumzision durchzuführen, nichts ändern werde, sofern die derzeitige Rechtspraxis nicht verändert werde.
Kritik Der Beschluss des Zürcher Kinderspitals hat bei Schweizer Juden wie Muslimen zu heftigen Reaktionen geführt: Der Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), André Bollag, bezeichnete das Moratorium als »einen schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit«. Das Schweizer Parlament hatte im Vorjahr zwar die »Verstümmelung weiblicher Genitalien« unter Strafe gestellt, eine Parlamentskommission hatte jedoch ausdrücklich abgelehnt, die männliche Beschneidung damit gleichzusetzen.