Kuba

Trecker für Castro

Ein halbes Jahr ist es her, da lud US-Präsident Barack Obama rund 70 exilkubanische Unternehmer zu einem Treffen hinter verschlossenen Türen. Ziel der informellen Runde im Weißen Haus: das Ende der US-Blockade gegen Kuba. Da diese nur vom Kongress beendet werden kann, in dem die Republikaner die Mehrheit stellen, was eine baldige Aufhebung unwahrscheinlich macht, nahm Obama die an Geschäften auf der Insel interessierten Unternehmer in die Pflicht. Sie sollten Schlupflöcher in der Blockadepolitik ausfindig machen und diese als Vorhut einer Öffnung weiter aufweichen.

An dem Treffen nahm der Unternehmer Saúl Berenthal aus Alabama, als Spross einer jüdischen Familie in Havanna geboren, zwar nicht teil. Aber der von ihm mit seinem Partner Horace Clemmons geführte Traktorenhersteller Cleber LLC könnte nun zur Speerspitze der Initiative werden.

Anfang November erteilte die kubanische Regierung dem Unternehmen – als erster US-Firma überhaupt – die Genehmigung, in der Sonderwirtschaftszone Mariel, rund 45 Kilometer westlich von Havanna, ein Traktorenwerk zu errichten. Die nach vietnamesischem Vorbild gestaltete Sonderwirtschaftszone war 2014 eröffnet worden. Mit besonderen Zoll- und Steuervergünstigungen sollen dort ausländische Investoren angesiedelt werden. Hierfür wurde ein Gesetz zu Auslandsinvestitionen verabschiedet, das ausländischen Unternehmen ermöglicht, in alle Sektoren der kubanischen Wirtschaft zu investieren.

Der Traktorenbauer aus Alabama hat eigens ein Modell für die Anforderungen der kubanischen Landwirtschaft entworfen, die von unabhängigen Kleinbauern und Kooperativen dominiert wird. Ihr Traktor sei einfach zu produzieren und zu warten und als »offener Bausatz« konstruiert, sodass in Kuba hergestellte Komponenten verwendet werden können, erklärt Berenthal. Nach der afrokubanischen Gottheit des Metalls haben Berenthal und Clemmons ihren Traktor »Oggun« getauft. »Damit wollen wir den Kubanern zeigen, dass wir uns gut mit der kubanischen Kultur auskennen, obwohl wir ein US-Unternehmen sind.«

Familie Saúl Berenthal weiß, wovon er redet. Er wurde 1944 in Kuba geboren. Seine Eltern hatten sich auf der Insel kennengelernt. Seine Mutter und ihr Bruder waren aus Polen nach Kuba geflohen – als die Einzigen in der Familie, die sich vor der Schoa retten konnten. Die Großeltern mütterlicherseits und vier Brüder wurden in Konzentrationslagern ermordet. Seine Großeltern väterlicherseits wiederum waren mit ihren sieben Kindern vor dem Holocaust aus Rumänien geflohen. Sie sind heute auf dem jüdischen Friedhof im Stadtteil Guanabacoa am Rande Havannas bestattet.

Berenthal erinnert sich an seine Kindheit in Havanna in den 50er- und 60er-Jahren: »Der jüdischen Gemeinde ging es wirtschaftlich gut. Sie bestand aus rund 15.000 Menschen. In der Generation meiner Eltern waren die meisten Händler. Das änderte sich dann mit meiner Generation – wir wurden Akademiker.« Die Mehrheit der Juden gehörte damals der Ober- und Mittelschicht an und hatte gute Verbindungen zu jüdischen Gemeinden im Ausland.

»In Havanna gab es damals drei jüdische Schulen. Zuerst ging ich auf die Tajkemoni-Jeschiwa, an der mein Vater Präsident war. Für die Oberstufe wechselte ich auf die Militärakademie von Havanna. Meine Familie gehörte der orthodoxen Synagoge an –mein Onkel war dort Präsident – sowie der konservativen Synagoge, die näher an unserem Zuhause lag. Wir haben alle jüdischen Festtage gefeiert, koschere Lebensmittel bekamen wir aus den USA.«

Bis heute gibt es in Havanna drei Synagogen: die orthodoxe, die konservative (aschkenasische) sowie die sefardische. »Unsere Gemeinschaft war Teil des kubanischen Volkes. Auch wenn wir als religiöse Minderheit angesehen wurden, sind wir niemals diskriminiert worden. Nichtjüdische Freunde nahmen uns immer gut auf.« Man habe zusammen Sport getrieben, sei zusammen zur Schule gegangen und habe gemeinsam an sozialen und anderen Aktivitäten teilgenommen, erzählt Berenthal. Aus der Politik hielt man sich raus.

Nach dem Triumph der Revolution emigrierte Berenthals Familie 1960 in die USA. »Diese Erfahrung war hart für meine Eltern. Sie mussten zum zweiten Mal in ihrem Leben alles zurücklassen und ganz von vorn beginnen – in einem Land, das sie zwar kannten, das sich aber in Sprache und Kultur unterschied. Es war schwierig in ihrem Alter, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.«

Saúl Berenthal selbst meisterte die Umstellung leichter. Er begann zu arbeiten und zu studieren. Es half ihm, dass die Familie seiner damaligen Freundin ebenfalls in die USA auswanderte. »Meine Frau Ceci und ich sind zusammen in Kuba aufgewachsen, ihre Familie wohnte einen Block von unserem Haus entfernt, wir sind in dieselbe Synagoge gegangen und haben eine zeitlang sogar dieselbe Schule besucht«, erinnert sich der heute 71-Jährige. »Als wir in die USA gegangen sind, haben wir uns gegenseitig unterstützt; die Beziehung hat bis heute gehalten.«

Gewinn Nach Beendigung seines Physik- und Mathematikstudiums in New York arbeitete Saúl Berenthal 18 Jahre lang für das IT-Unternehmen IBM. In dieser Zeit lernte er Horace Clemmons kennen, der bis heute sein Geschäftspartner ist. Gemeinsam gründeten sie drei Software-Firmen, die sie später mit Gewinn verkauften.

»Als wir in Rente gingen, haben wir entschieden, ein Unternehmen zu gründen, das kleinen Landwirten in den USA hilft. Aus dieser Idee entstand dann vor einigen Jahren Cleber LLC.«

Als die Präsidenten der USA und Kubas, Barack Obama und Raúl Castro, im Dezember 2014 die Annäherung zwischen den beiden früheren Erzfeinden verkündeten, war die Landwirtschaft einer jener wenigen Bereiche, in denen Handel zwischen beiden Ländern erlaubt war. »Wir dachten, wir könnten Teil dieser Annäherung sein«, sagt Berenthal. Die Idee mit den Traktoren für Kuba wurde geboren. »Wie in so vielen vorherigen Angelegenheiten ergänzen wir uns perfekt: Horace kennt sich mit Landwirtschaft und Traktoren aus und ich mich mit Geschäften und Kuba.«

Von kubanischer Seite wurde das Projekt in weniger als 60 Tagen genehmigt, betont Berenthal. In den USA hingegen gestaltet sich das Verfahren wegen der Blockadegesetzgebung komplizierter. Die Regularien erlauben den Export von landwirtschaftlichen Produkten und Maschinen nach Kuba nur dann, wenn sie dem Privatsektor zugute kommen.

Sechs US-Regierungsbehörden müssen grünes Licht geben. Berenthal ist dennoch zuversichtlich. »Wir hoffen auf eine positive Antwort«, sagt er. Ihr Traktorenprojekt könne Beispiel sein für andere Unternehmer, die Teil der Annäherung zwischen den USA und Kuba sein wollen.

Berenthal begrüßt die Neuausrichtung der Washingtoner Kuba-Politik: »Ich denke, es war an der Zeit.« Für die Blockade gebe es weder eine politische, noch ökonomische, noch moralische Rechtfertigung, so Berenthal weiter. »Es ist ein unumkehrbarer Prozess, denn beide Völker sehnen sich nach einer Annäherung.«

Wurzeln
Saúl Berenthal selbst kehrte bereits vor einigen Jahren erstmals wieder nach Kuba zurück. Im Jahr 2007 entschied er sich, seinen Söhnen seine Wurzeln zu zeigen. »Es war eine sehr emotionale Reise. Ich konnte sehen, wie sie reagierten, und sie konnten meine Reaktion verfolgen bei der Rückkehr nach so vielen Jahren. Ich gebe zu, es war eine der besten Familienzusammenkünfte, die ich hatte.«

Für seine Kinder war es ein großes Abenteuer, zu sehen, wo ihre Eltern aufgewachsen sind. »Und für mich selbst war es erstaunlich, zu entdecken, wie wenig sich verändert hatte – auch wenn der Verfall mich natürlich traurig stimmte. Es hat mich beeindruckt, zu sehen, wie die Bevölkerung – auch wenn es an vielem fehlte – ihre Kultur und Wesensart bewahrte. Die Kubaner sind weiterhin freundlich, fröhlich und gewillt, das Beste aus den Möglichkeiten zu machen.«

Von der ehemals sehr lebendigen jüdischen Gemeinde ist heute allerdings nicht mehr viel übrig. Gerade einmal rund 1500 Juden leben noch auf Kuba, die meisten in Havanna. »Die große Mehrheit der heutigen Juden in Kuba sind Konvertiten«, sagt Berenthal. »Von denen, die ich kannte, sind nur wenige übriggeblieben. Die meisten sind, wie meine Familie, nach der Revolution ausgewandert.«

Auch gibt es keinen Rabbiner mehr auf Kuba. Religiöse Zeremonien wie Hochzeiten, Barmizwa-Feiern oder die Brit Mila können deshalb nur abgehalten werden, wenn Rabbiner aus dem Ausland helfen. Auch die Versorgung mit koscheren Lebensmitteln gestaltet sich schwierig.

Identität »Beim Anblick der Synagogen und in Gesprächen mit den wenigen alten Juden, die auf der Insel verblieben sind, habe ich festgestellt, dass jede Gruppe einen Modus Vivendi entwickelt hat, in dem sie ihre Aktivitäten durchführen. Sie sind damit beschäftigt, ihre jüdische Identität zu bewahren.« Sie bitten Touristen und jüdische Organisationen im Ausland um Spenden, die sie unter den Gemeindemitgliedern verteilen. »Ihnen bleibt wenig Zeit, sich um Religiöses zu kümmern – und wir wissen, dass Religion ein sensibles Thema auf Kuba ist«, sagt Berenthal. »Ich versuche immer noch, zu verstehen, wie wir eine jüdische Struktur schaffen können, die die jüdische Welt dazu bewegen kann, eine lebendige jüdische Gemeinde auf Kuba wiederherzustellen, mit engen Verbindungen zu Gemeinden im Ausland, wenn es weder koschere Lebensmittel noch einen Rabbiner gibt.«

Der Zustand der jüdischen Gemeinde hat ihn traurig gemacht. »Er hat mir aber auch den Antrieb gegeben zu helfen«, sagt Berenthal. Neben der Organisation von Austauschprogrammen zwischen kubanischen Hochschulen und der University of North Carolina begann er, sich aktiv am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Kuba zu beteiligen.

Nach eigener Aussage sucht er nach Wegen, um jene, wie er sie nennt, »Jewbans«, die wie seine Familie in die USA ausgewandert sind, mit jenen »Jubanos« in Kuba zusammen zu bringen. »Ich denke, mit der neuen Annäherung zwischen Kuba und den USA lässt sich das bewerkstelligen.«

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