Für sefardische Juden ist Marokko das, was Polen für die Aschkenasim ist: ein Land einer einst prächtigen, nun aber untergegangenen jüdischen Kultur und Gelehrsamkeit. Bereist man es als jüdischer Tourist, findet man die Gräber bedeutender jüdischer Weisen wie Rabbiner Chaim Pinto (1748–1845) und Rabbiner Raphael Ankawa (1848–1935), aber auch den Geburtsort des großen Mystikers Baba Sali (1889–1984).
Ende des 15. Jahrhunderts nahm Marokko große Teile der aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden auf. In der Folge blühte das jüdische Leben in Nordafrika noch einmal auf. Bereits im früheren Mittelalter hatte es große Gelehrte wie Rabbiner Jizchak Alfasi (1013–1103) hervorgebracht.
Nach der Staatsgründung Israels 1948 wanderte der Großteil der marokkanischen Juden aus. Die Mehrheit ging nach Israel, eine Minderheit nach Frankreich. In Israel stellen die marokkanischen Juden heute mit rund einer halben Million Menschen die größte sefardische Gemeinschaft. Die wenigen Tausend in Marokko verbliebenen Juden hüten das kulturelle Vermächtnis des Landes, fühlen sich wohl und pflegen enge Kontakte nach Israel.
Abraham-Abkommen Seit den zwischen Israel und einigen arabischen Staaten geschlossenen Abraham-Abkommen ist die Einreise von Israelis nach Marokko leichter geworden. So trifft man im Land wie selbstverständlich auch auf etliche israelische Touristen. Obwohl das vielfältige jüdische Leben in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein abruptes Ende fand, ist der jüdische Tourismus nicht von emotionaler Schwere oder Melancholie geprägt wie in Osteuropa. Man spürt, dass das Verhältnis zu der Maghreb-Monarchie überwiegend positiv ist.
Nach der Staatsgründung Israels 1948 wanderte der Großteil der marokkanischen Juden aus.
Am Freitagabend, kurz vor Schabbatbeginn, wird in der Bet-El-Synagoge im Galiz-Viertel von Marrakesch das Hohelied gelesen. Langsam füllt sich das Bethaus. Am Ende bleibt kein Stuhl leer. Man sitzt im Viereck um die Bima und betet gemeinsam.
Auch der israelisch-marokkanische Reiseleiter Avi ist an diesem Abend dabei. Er führt israelische Touristen durch die Stadt und schwärmt von der Geschichte des Landes, seinem religiösen Reichtum und von der marokkanisch-jüdischen Küche. Auch die vielen Direktflüge von Tel Aviv in mehrere marokkanische Städte lobt er.
»Stadt Gottes« In Marrakesch, der »Stadt Gottes«, wie der berberische Name übersetzt heißt, lebten früher 30.000 Juden in einem abgesonderten Viertel, der sogenannten Mellah. Am Sonntag führt Avi eine israelische Reisegruppe auf der Suche nach Gräbern ihrer Verwandten durch die Mellah. Das ehemalige jüdische Viertel ist heute ziemlich heruntergekommen. Rund 30 ehemalige Synagogen und einige Friedhöfe erinnern an die Blütezeit dieses Stadtteils.
Dennoch ist das Königreich Marokko sehr bemüht, seine geschichtsträchtigen Städte zu pflegen und herauszuputzen. Der Tourismus ist eine Haupteinnahmequelle des Landes. Deshalb fördert die Regierung auch den jüdischen Tourismus.