Litauen trauert um eine führende Intellektuelle des Landes: Im Alter von 93 Jahren ist die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Irena Veisaite gestorben, wie der litauische Rundfunk unter Berufung auf eine langjährige Freundin der Holocaust-Überlebenden berichtete. Veisaite sei an Covid-19 erkrankt gewesen, hieß es unter Berufung auf Angehörige weiter.
»Litauen hat eine Gigantin verloren«, schrieb Außenminister Linas Linkevicius auf Twitter. Veisaite sei »Litauens Gewissen« gewesen, ihr Vermächtnis werde unvergänglich sein. Staatspräsident Gitanas Nauseda würdigte in einer Beileidsbekundung ihr Leben und Wirken als »Denkmal für humanistische Werte«.
Veisaite wurde 1928 als litauische Jüdin in Kaunas geboren. Als Kind überlebte sie den Holocaust, dem ein Großteil ihrer Familie zum Opfer fiel. 1943 floh sie aus dem Ghetto in Kaunas und lebte mit falscher Identität bei einer litauischen Familie. Später erlebte Veisaite die Sowjetzeit und war erneut Anfeindungen ausgesetzt.
Neben ihrer langjährigen Lehrtätigkeit an der Universität Vilnius veröffentlichte die Germanistin Theaterkritiken und verfasste Artikel, Lehrwerke und Bücher. Zuletzt erschien 2019 ihr Interview-Buch »Ein Jahrhundertleben in Litauen«. Auch engagierte sie sich für die Errichtung des Thomas-Mann-Kulturzentrums im litauischen Nida.
Zeitlebens setze sich Veisaite, die immer auch unbequeme Wahrheiten thematisierte, für Ausgleich und Verständigung ein. Sie förderte den Kulturdialog mit Deutschland und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet.