Der schottische Holocaustüberlebende Henry Wuga ist am Wochenende verstorben. Dies bestätigte der Holocaust Memorial Day Trust.
Olivia Marks-Woldman, die Chefin der Organisation, erklärte, Wuga, der 100 Jahre alt wurde, habe einen Großteil seines Lebens damit verbracht, Menschen über die Gräueltaten der Nazis aufzuklären. Aufgrund der traurigen Nachricht sei sie untröstlich.
»Henry war ein Gentleman: charmant, elegant und vor allem eine Kraft für das Gute«, schrieb sie auf X (ehemals Twitter). »Die Arbeit, die er und seine verstorbene Frau Ingrid leisteten, indem sie ihre Erlebnisberichte weitergaben, hatte einen enormen Einfluss auf Tausende von Menschen in ganz Schottland.«
»Normal und glücklich«
Wugas Töchtern Hilary und Gillian sowie seiner gesamten Familie sprach sie ihr »tiefstes Mitgefühl« aus.
Im Jahr 1924 wurde Henry Wuga in Nürnberg geboren. Seine Kindheit sei zunächst »normal und glücklich« verlaufen, erzählte er viele Male. Die Eltern Karl und Lore nahmen ihn an Wochenenden mit aufs Land. Zunächst fühlte er sich auch in der Schule wohl.
Wie Wuga Jahrzehnte später erzählte, änderte sich dies bereits bevor Hitler an die Macht kam. Denn der Judenhass verbreitete sich schnell. Als die Nürnberger Gesetze in Kraft traten, habe niemand mehr mit ihm gesprochen - weder andere Schüler, noch die Lehrer.
Versuchte Flucht
Schließlich musste er auf eine jüdische Oberschule wechseln. Einer seiner Schulkameraden aus der nächsthöheren Klasse war Henry Kissinger. Zu dieser Zeit wurde die Atmosphäre in Nürnberg immer schlimmer.
Henry Wugas Mutter nahm ihn aus der Schule als er 14 Jahre alt war und sagte ihm, er müsse einen Beruf erlernen, den er in einem anderen Land würde ausüben können. In Baden-Baden arbeitete er in einem koscheren Hotel.
Dann kamen die November-Pogrome. Die Familie Wuga verlor ihr Geschäft und versuchte erfolglos, nach Amerika zu fliehen. Im Jahr 1939 wurde Henry Wuga per Kindertransport nach Glasgow geschickt und damit vor den Nazis gerettet.
Weinende Kinder
In der Eisenbahn seien viele weinende Kinder gewesen, die nicht gewusst hätten, ob sie ihre Eltern jemals wiedersehen würden, sagte Henry Wuga einst. Auf der Reise durch die Niederlande hätten Frauen an Bahnhöfen Äpfel und Kakao an die Kinder im Zug verteilt.
In Glasgow wurde Wuga von einer jüdischen Witwe aufgenommen, die ihn behandelte, als sei er ihr eigener Sohn. Im Theater und in Konzerten konfrontierte sie ihn mit Kultur. Auch in der Glasgower Schule fühlte er sich wohl. Antisemitismus erlebte er nun nicht mehr.
Über zwei seiner Onkel, die in Brüssel und Paris lebten, schickte Henry Wuga Briefe an seine Eltern - mit unguten Folgen. Die Schreiben wurden vom britischen Geheimdienst abgefangen - und er wurde wegen »Kommunikation mit dem Feind« festgenommen. Auch in einem Internierungslager war er als Jugendlicher zeitweise.
Soziales Engagement
In einem Chor in Glasgow, dem er später beitrat, traf er Ingrid Wolff, seine spätere Frau. Im Jahr 1947 holte er seine Mutter nach Schottland, die den Krieg überlebt hatte. Sein Vater war 1943 während eines Luftangriffs an einem Herzinfarkt gestorben.
Das Ehepaar bekam zwei Töchter und betrieb 30 Jahre lang ein koscheres Restaurant. Über Jahrzehnte hinweg sprachen Henry und Ingrid Wuga vor Menschen aller Altersgruppen über ihre Kindheitserlebnisse in Nazi-Deutschland und den Holocaust.
Auch engagierten sie sich sozial, indem sie Veteranen, die im Krieg Gliedmaßen verloren hatten, das Skifahren beibrachten. Henry Wuga selbst stand bis zum Alter von 91 Jahren auf den Brettern.
Großer Verlust
Kurz bevor Ingrid Wuga im Jahr 2020 starb, feierte das Paar seinen 75. Hochzeitstag. Henry Wuga hinterlässt seine beiden Töchter, vier Enkel und drei Urenkel.
Der schottische Regierungschef Humza Yousaf erklärte im Parlament in Edinburgh, mit Trauer habe er die Nachricht vom Tod Henry Wugas vernommen. »Dieser große Verlust wird in Gemeinschaften in ganz Schottland und außerhalb der Landesgrenzen gespürt werden. Er hat jahrzehntelang daran gearbeitet, uns an die Schrecken des Holocaust zu erinnern, die niemals vergessen werden dürfen.«