»Antisemitismus und Antizionismus sind die Feinde unserer Republik« – Emmanuel Macron fand bei der Gedenkveranstaltung am vergangenen Sonntag in Toulouse die treffenden Worte. Vor zehn Jahren erschoss der Islamist Mohammed Merah in der jüdischen Schule »Ohr Torah« Rabbiner Jonathan Sandler (30), seine zwei Kinder Arié (6) und Gabriel (3) und eine weitere Schülerin, Myriam Monsonego (8).
Der 19. März 2012 ist ein schwarzer Tag für Frankreich, doch für viele Juden wurde er zu einem fundamentalen Wendepunkt. Der Attentäter, der Islamist Merah, hatte algerische Wurzeln, aber er war in Toulouse geboren, auf eine staatliche Schule gegangen, und er arbeitete beim Militär. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg tötete ein Franzose einen Juden. Viele aus der jüdischen Gemeinde der Stadt, einer der größten in Frankreich, verließen daraufhin das Land und gingen nach Israel.
WAHLKAMPF An der Zeremonie am Sonntag nahmen auch die früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande teil. Die sogenannten Merah-Attentate fanden damals kurz vor den Wahlen statt. Der Wahlkampf war daraufhin kurzzeitig unterbrochen worden.
Am Anfang war nicht klar, wer hinter den Morden steckte. Medien und Politiker gingen von einem »verrückten Einzeltäter« oder einem rechtsextremen Netzwerk aus, da der Täter offensichtlich Militär-Erfahrung hatte. Die Hypothese eines islamistischen Attentats zog damals kaum jemand in Betracht.
Medien und Politiker gingen zunächst von einem »verrückten Einzeltäter« oder einem rechtsextremen Netzwerk aus.
Mehrere Redner aus der Politik entschuldigten sich daher am Sonntag bei den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung: Ihre Antwort sei damals nicht angemessen gewesen. Der ehemalige Premierminister Manuel Valls empörte sich, dass es wohl nie zu einer Solidarisierung gegen islamistischen Terrorismus gekommen wäre, hätte es den Anschlag auf die Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« nicht gegeben. »Was für ein schrecklicher Gedanke«, sagte er.
ISLAMISMUS Der französisch-jüdische Dachverband CRIF weist daher auf radikale Elemente des Islam hin. Franck Teboul, CRIF-Chef der Region Midi-Pyrénées, der Veranstalter der Gedenkzeremonie, rief die Politiker auf, das Übel beim Namen zu nennen: »Frankreich hat aktuell ein Problem mit dem radikalen Islam. Diesen anzuprangern und zu bekämpfen, bedeutet nicht, den Rechtsextremisten in die Karten zu spielen – nein, es rettet Leben.«
Im Kontext der anstehenden Präsidentschaftswahlen kritisierte Teboul zwei der Kandidaten: Jean-Luc Mélenchon und Éric Zemmour. Der linke Kandidat Mélenchon hatte hinter dem Terroranschlag 2012 eine Verschwörung gesehen: Vor jeder wichtigen Wahl würde es einen Terroranschlag geben, um die pazifistische Linke zu schwächen.
Der Rechtsextremist Éric Zemmour, damals noch Essayist, hatte die Opferfamilien Sandler und Monsonego kritisiert, weil sie ihre Kinder in Israel begraben ließen. Aus seiner Sicht seien sie deshalb keine Franzosen. In seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch La France n’a pas dit son dernier mot (Frankreich ist noch nicht am Ende), schreibt er über die Kinder: »Was das Zurücklassen ihrer Knochen betrifft, so wählen sie vor allem nicht Frankreich, da sie Ausländer sind und dies auch über ihren Tod hinaus bleiben wollen.«
antisemitismus Nachdem am Sonntag die Hatikwa und die Marseillaise gesungen worden waren, hielt Israels Präsident Isaac Herzog eine Rede. Er sagte: »Paris, Pittsburgh, Halle – der Antisemitismus ist zurück in Europa und in den Vereinigten Staaten«. Herzog forderte Frankreich auf, die Sanktionen gegen den Iran zu verschärfen, da Teherans Atomexperimente die jüdische Welt bedrohten.
Präsident Macron drückte daraufhin dem Staat Israel seine volle Solidarität aus: »Frankreich und Israel, Israel und Frankreich werden Seite an Seite gegen jegliche Form des Terrorismus gewinnen – egal an welcher Front. Gemeinsam werden wir den Antisemitismus bekämpfen, auch jenen, der sich unter der Maske des Antizionismus versteckt.«
Oberrabbiner Haïm Korsia schloss die Gedenkzeremonie mit einem Gebet für die Französische Republik ab.