Der polnische Präsident Lech Kaczynski ist am Samstag beim Absturz seines Dienstflugzeugs in der westrussischen Stadt Smolensk ums Leben gekommen. Mit ihm starben 96 weitere Insassen der Maschine, darunter ranghohe Regierungsvertreter.
Lech Kaczynski war das erste Staatsoberhaupt Polens, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Synagoge im eigenen Land betreten hat. Zum Chanukkafest vor zwei Jahren besuchte er gemeinsam mit seiner Frau Maria die Synagoge in Warschau. »Wir haben ein wahrhaftes jüdisches Leben in unserem Land errichtet«, sagte er nach der fröhlichen Begrüßung durch einen jüdischen Kinderchor. Dieser Synagogenbesuch steht stellvertretend für Kaczynskis Bemühungen um eine Aussöhnung zwischen Polen und Juden.
sympathie Im Laufe seiner 2005 begonnenen Amtszeit als Staatspräsident betonte Kaczynski immer wieder seine Sympathie für die Juden in Polen. Und in der Außenpolitik, für die die polnische Verfassung dem Präsidenten ein besonderes Gewicht verleiht, baute Kaczynski die Beziehungen zwischen Polen und Israel aus. Das mag seinem persönlichen Anliegen entsprochen haben; vor allem aber entsprach es den loyalen Beziehungen zu den USA, für die Kaczynski stand. Anders als viele andere europäische Staaten ging Polen nicht auf Distanz zur Außenpolitik des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, befürwortete Kaczynski stets den Einsatz polnischer Soldaten im Irak und gab Bushs Drängen auf eine amerikanische Raketenbasis in Polen nach.
Israels Staatspräsident Schimon Peres, der 1923 in Polen geboren wurde, nannte Kaczynski am Sonntag »einen Freund Israels«. Für die israelische Tageszeitung Haaretz war Kaczynski ein »zuverlässiger Freund des polnischen Judentums«. Während eines Staatsbesuchs in Israel vor vier Jahren sagte er der Zeitung: »Ich liebe die Juden. Ich hatte immer in meinem Leben jüdische Freunde.« Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang der Hinweis der Zeitung, dass Kaczynski zwar Nationalist sei, »aber mitnichten antisemitisch«.
Nicht nur der Politiker, vor allem der nationalkatholisch geprägte Mensch Lech Kaczynski wusste sehr gut, dass Nationalismus und Antisemitismus im geschichtsbewussten Polen sehr oft eine Allianz bilden. Aus dem eigenen Lager wurde Kaczynski häufig als »Jude« diffamiert. Bis heute wird der Begriff in Polen als gängige Beschimpfung verwendet. Zusammenschlüsse wie die »polnische patriotische Bewegung« oder der »nationalkatholische Widerstand« titulierten den Präsidenten öffentlich als »Lech Kaczynski-Kalkstein«, Karikaturen zeigten ihn nach seinem ersten Synagogenbesuch mit dem Bart eines orthodoxen Juden. Kaczynskis Israel-Besuch im Jahre 2006 sei die »Heimkehr in sein wahres Vaterland« gewesen. Der damalige israelische Staatspräsident Mosche Katzaw lobte Kaczynskis rigide Position im Kampf gegen den Antisemitismus.
nationalkatholisch Keiner von Kaczynskis Amtsvorgängern war näher dran an den Traditionen der nationalkatholischen polnischen Seele. Deshalb ist er die Schritte zur Aussöhnung mit den polnischen Juden vorsichtig gegangen. Immerhin war er bis zuletzt ein hoher Repräsentant seiner Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), die sich auf den nationalkatholischen Teil der Polen stützt. Sein Zwillingsbruder Jaroslaw ging als Premierminister gar eine Koalition mit der rechtsradikalen, teilweise »völkisch« ausgerichteten »Liga polnischer Familien« (LPR) ein, der sich Lech als gleichzeitiger Präsident nicht widersetzte.
Bei sämtlichen Wahlen konnte sich die PiS auf ihre rückwärtsgewandten Wähler verlassen, die Lech Kaczynski ins höchste Staatsamt gehievt hatten. Bis heute liegen die Hochburgen der PiS in den ländlichen Gegenden vor allem östlich von Warschau. Dort, wo vor dem Holocaust die größte Zahl europäischer Juden lebte: in Podlasien, und in der Gegend um Zamosc, in der Woiwodschaft Lublin, deren jüdische Welt im Werk des Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer literarisch verewigt wurde. Als Präsident hat Kaczynski im Namen der Polen mehrfach um Verzeihung für die an Juden begangenen Verbrechen gebeten.
»Viele, die politisch eher rechts stehen, geben heute zu, dass Juden großen Anteil an der polnischen Kultur hatten«, sagt Polens Oberrabbiner Michael Schudrich. »Hätte ein anderer Mann an Polens Spitze gestanden, hätten sie darüber geschwiegen. Kaczynski befähigte diese Menschen, ihre Stimme zu erheben.«