Wenn am 5. Juni die Glocken der Londoner St.-Pauls-Kathedrale den Festgottesdienst zu Ehren des 60. Thronjubiläums von Elisabeth II. einläuten, versammeln sich auch Juden, um für ihre Königin zu beten. Eine Geste, die in Großbritannien selbstverständlich ist: Man betet jeden Schabbatmorgen für die Gesundheit und das Wohl der Monarchin und ihrer Familie. Die Worte sind in Gebetbüchern verankert, gehen leicht von den Lippen und kommen von Herzen. Viele Synagogen und Gemeinden planen besondere Veranstaltungen, Gottesdienste und Feste anlässlich des »Diamond Jubilee«.
Warum sind die britischen Juden so verrückt nach der Königin? Weil Monarchien bei Minderheiten beliebt sind, wie Menschenrechtsprofessor Ian Buruma meint? Weil, wie es auf der Homepage der Hendon United Synagogue heißt, Loyalität zum Staatsoberhaupt ein fundamentaler Wert im Judentum ist? Oder weil, wie es der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks in seiner Rede zum 50. Thronjubiläum der Königin formulierte, die Queen das »menschliche Gesicht von Großbritannien« ist?
Wohlstand »Die Ära Elisabeths II. hat den Juden Stabilität und Wohlstand gebracht«, sagt Rabbiner und Buchautor Jonathan Romain. Das war nicht immer so. »Monarchen wurden in der jüdischen Geschichte häufig mit Verfolgung assoziiert: Juden waren den königlichen Launen ausgesetzt und litten als Sündenböcke der Regenten in Zeiten ökonomischer oder politischer Schwierigkeiten«, beschreibt Romain die frühe jüdische Geschichte.
Englische Monarchen waren nicht besser: Wilhelm der Eroberer behandelte die Juden als »bewegliche Habe«, Henry III. zwang die Juden, ihm zu dienen, und Edward I. wies die Juden im Jahr 1290 sogar aus England aus – ein Edikt, das im Prinzip noch heute gültig ist und von Elisabeth II. aufgehoben werden müsste, wie manche Historiker fordern.
Im Krönungsjahr der Königin, 1952, bestand die jüdische Bevölkerung aus etablierten sefardischen und aschkenasischen Familien sowie zahlreichen Holocaust-Flüchtlingen. Heute leben etwa 300.000 Juden im Vereinigten Königreich, als »stolze und loyale Bürger und Untertanen«, wie es Walter Rothschild, Landesrabbiner von Schleswig-Holstein und gebürtiger Brite, beschreibt. »Wir britischen Juden sind unbefangen patriotisch.«
Toleranz Als Staatsoberhaupt muss Elisabeth – nach ihrer eigenen Definition – die vielfältigen Glaubensrichtungen respektieren und Toleranz zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen fördern. Und sie nimmt diese Aufgabe ernst. Bereits im ersten Jahr ihrer Herrschaft wurde sie – als erste Monarchin überhaupt – Schirmherrin des Rats der Christen und Juden, einer interreligiösen Organisation, deren Ziel es ist, die Beziehungen zwischen den beiden Glaubensrichtungen zu verbessern.
In späteren Jahren unterstützte sie zahlreiche jüdische Wohltätigkeitsorganisationen. Die Queen war auch anwesend, als 2006 das 350. Jubiläum der jüdischen Gemeinde in Großbritannien mit einem Empfang gefeiert wurde. Ihre drei Söhne hat sie von Mohalim beschneiden lassen – »weil sie den Experten mehr vertraute als dem Hofchirurgen«, sagt Romain schmunzelnd.
gefühl »Großbritannien ist immer noch ein christlicher Staat, aber ein Staat für alle seine Bürger. Die Königin hat alles dafür getan, dass sich Juden hier wohlfühlen können«, sagt Rabbiner Tony Bayfield, Präsident der Bewegung für Reformjudentum. »In einer Zeit, in der Antisemitismus und Antiisraelismus in der Bevölkerung wachsen und extreme politische Kräfte an Einfluss gewinnen, gibt die Königin den Juden das Gefühl, respektiert und geschützt zu sein«, betont der Rabbiner.
Bayfield war – neben Oberrabbi Sacks, dem Präsidenten des Board of Deputies of British Jews, Vivian Wineman, und anderen – unter den Gästen beim interreligiösen Empfang der Königin am 15. Februar im Lambeth-Palast, der offiziellen Londoner Residenz des Erzbischofs von Canterbury.
»Wir haben normalerweise nicht viel Kontakt mit der königlichen Familie«, sagt Jon Benjamin vom Board of Deputies. Dennoch gehörte das Board zu den etwa 30 privilegierten Körperschaften, die im Buckingham-Palast eine Ansprache zu Ehren der Königin hielten. »Und jedes Jahr dürfen wir 30 Gäste für die Gartenpartys der Königin nominieren«, so Benjamin.
Viel wird darüber spekuliert, warum die Queen, die mehr als 260 Staatsbesuche in über 120 Ländern absolviert hat, nie einen Fuß nach Israel gesetzt hat. Schuld daran sei das britische Außenministerium, meint Andrew Roberts. In einer Rede beim Jahresempfang der Anglo-Israelischen Vereinigung 2009 sprach der Historiker von einem »ungeschriebenen und nicht anerkannten und deshalb umso stärker wirkenden Verbot«.
Nichtsdestotrotz war Israels Präsident Schimon Peres, der 2008 die Ehrenritterwürde erhalten hat, unter den Ersten, die der Königin zu ihrem diamantenen Thronjubiläum gratulierten – mit Verweis auf das »feste Fundament der Freundschaft und der gemeinsamen Werte«.