Die symbolische Marke ist erreicht: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist sechs Monate im Amt. In dieser kurzen Zeit hat der stets jugendlich wirkende Regierungschef in der Arbeitsgesetzgebung und der Steuerpolitik einige für das Land mutige Reformen angestoßen. Dennoch sind laut einer Umfrage des Nachrichtensenders BFM TV 37 Prozent der Franzosen mit ihm unzufrieden. Und inzwischen laufen ihm auch seine Anhänger davon.
Die jüdische Gemeinde Frankreichs hatte ebenfalls im zweiten Wahlgang dazu aufgerufen, für ihn und gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen zu stimmen. Grund genug, auch sie nach ihren Eindrücken zu fragen und herauszufinden, was sie sich von Macron für die Zukunft weiterhin erhofft?
CRIF »Noch ist es zu früh für eine Bilanz«, erklärt Francis Kalifat. »Ankündigungen gab es viele, jetzt warten wir auf konkrete Maßnahmen«, so der Vorsitzende der französisch-jüdischen Dachorganisation (CRIF). Genau deshalb könne man auch keinen Vergleich zur Vorgängerregierung von François Hollande ziehen. »Wir warten darauf, dass den Worten Taten folgen«, sagt auch Richard Wertenschlag, Großrabbiner der Gemeinde von Lyon.
Die Ansprache von Premierminister Edouard Philippe zu Rosch Haschana kam jedenfalls gut bei der Gemeinde an. Dabei versprach er, »ohne Gnade« gegen den An-
tisemitismus, »dieser furchtbaren Bestie, die immer wieder aufersteht, obwohl man sie längst tot gewähnt hat«, vorzugehen. Zudem sagte er Banalisierung des Antizionismus den Kampf an.
»Das war eine wirklich gute Rede«, betont Wertenschlag. Schließlich bereiten die Sicherheitslage und der Antisemitismus Frankreichs Juden am meisten Sorgen. Daher ist es für sie sehr wichtig, dass die Regierung gegen den »neuen Judenhass« in Form des Antizionismus vorgehen will, sagt CRIF-Präsident Kalifat. Auch Präsident Macron hat der Gemeinde gezeigt, dass dieser in der Republik keinen Platz hat.
Anlässlich des Jahrestags der Razzia im Pariser Vélodrome d’Hiver forderte er im Beisein von Israels Ministerpräsident Netanjahu dazu auf, endlich auch den »antisemitischen Charakter« des Mordes an der Pariser Jüdin Sarah Halimi zu begreifen. Die 65-Jährige war im April von ihrem Nachbarn, einem 27-jährigen Muslim namens Kobili Traoré, misshandelt und aus dem dritten Stock ihres Hauses geworfen worden. In den Monaten zuvor hatte Traoré seine Nachbarin wiederholt judenfeindlich beschimpft. Das Gericht jedoch sah nur eine psychische Störung und kein Hassverbrechen. Dagegen regte sich bald Protest.
Kirche Wertenschlag hat zudem den Eindruck, dass man die strikte Trennung von Kirche und Staat, die für viele Juden im täglichen Leben nicht ganz unproblematisch ist, lockern will. »Ich habe das Gefühl, die Haltung der jetzigen Regierung ist positiver dazu als die der vorigen.« Beispielsweise hat der Premierminister angekündigt, jüdischen Studenten alternative Termine anzubieten, falls eine Prüfung auf den Schabbat fällt. Auch versprach er, die rituelle Schlachtung nicht infrage zu stellen.
Nur mit seiner Ankündigung, die Antiterror-Operation »Sentinelle« zurückzufahren, stößt Macron bei Frankreichs Juden auf Unmut. Schließlich bewachen Soldaten deshalb alle potenziell gefährdeten Orte. Aber noch ist nicht bekannt, ob dieser Schritt auch Folgen für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen hat. »Juden sind noch immer eine Zielscheibe für den islamistischen Terror«, gibt Kalifat zu bedenken.
Kommt mit Macron nun ein echter Kurswechsel oder nicht? Für Frankreichs Großrabbiner Haïm Korsia ist er »ein neuer Bonaparte«, der frischen Wind bringt. Wie dieser kam er nach dem Abgang der alten Riege von der politischen Bühne an die Macht. Jedenfalls, so glaubt der Rabbiner, »kann man die Welt nur verändern, solange man jung ist.«