Kiew

Tefillin im Schützengraben

Alexander Khmara ist Hauptmann in Ukraines Streitkräften und versucht, auch im Krieg observant zu leben. Ein Porträt

von Michael Gold  22.08.2023 07:25 Uhr

Hauptmann Alexander Khmara (34) Foto: privat

Alexander Khmara ist Hauptmann in Ukraines Streitkräften und versucht, auch im Krieg observant zu leben. Ein Porträt

von Michael Gold  22.08.2023 07:25 Uhr

Unter den Soldaten, die seit anderthalb Jahren die Ukraine gegen die russischen Truppen verteidigen, gibt es auch etliche Juden. Einer von ihnen ist der 34-jährige Alexander Khmara. Er wurde in Chust, einer Stadt in Transkarpatien nahe der rumänischen Grenze, geboren, studierte in Kiew und Budapest und machte Abschlüsse als Systemprogrammierer und Spezialist für Projektmanagement.

Vor sieben Jahren, erzählt er, habe er angefangen, den Rat seiner Mutter zu befolgen. Sie hatte lange in Israel gelebt und sagte zu ihm, das Judentum biete Antworten auf alles. Von da an besuchte er Kurse bei einem Rabbiner, studierte die Halacha und bemüht sich, die Gebote zu halten.

invasion Als die russische Invasion begann, war Khmara gerade in Kiew. Wie viele andere schickte er seine Familie in die Westukraine und kehrte rasch zurück, um sich zum Militär zu melden. Mit den Kenntnissen, die er während des Studiums erworben hat, ist er inzwischen leitender Ausbilder im Dienstrang eines Hauptmanns.

Bis heute hat er mehr als 10.000 Soldaten in Taktik und im Schießen ausgebildet. »Meine Hauptaufgabe ist es, ihnen beizubringen, einen Auftrag auszuführen und unversehrt zum Stützpunkt zurückzukehren«, sagt Khmara.

Die grundlegenden Schießtechniken seien psychologisch untermauert, betont er. So schult er die Soldaten nicht nur in technischen Aspekten, sondern auch im Verhalten in Krisenmomenten. Aus diesem Grund hat er vor Kurzem angefangen, Psychologie zu studieren. Zusammen mit anderen Ausbildern hat er eine gemeinnützige Organisation gegründet, die sich dafür einsetzt, dass so viele Soldaten wie möglich am Leben bleiben.

Schweinefleisch Während eines Militäreinsatzes jüdisch zu leben, sei eine besondere Herausforderung, sagt Khmara. Im zivilen Leben habe er sich strikt an einen koscheren Lebensstil gehalten – er verzichtete auf Schweinefleisch oder Meeresfrüchte und vermied es, Milchprodukte und Fleisch zu mischen. Bis zu einem gewissen Grad gelingt es ihm, diese Ernährungsgewohnheiten auch in der Armee beizubehalten, doch einfach ist dies nicht. Bei den ukrai­nischen Streitkräften ist Schwein das am leichtesten zugängliche Fleisch, sodass Khmara sich oft von Getreide ernährt oder Rindfleisch in Dosen im Gepäck hat, doch manchmal verdirbt es.

Den Anblick koscherer Protein-Riegel könne er mittlerweile nicht mehr ertragen, sagt er. Zum Glück bekommt er manchmal Gemüse oder Obst, und er wird von Militärrabbiner Hillel Cohen unterstützt. Dieser betreut die Soldaten im Einsatz als Seelsorger und liefert verschiedenen Armee-Einheiten humanitäre Unterstützung, die von jüdischen Organisationen in der Ukraine gesammelt wird.

Auch wenn Khmara nicht jeden Tag Tefillin anlegen kann – der Militärdienst hat Vorrang –, betet er jeden Tag. Seine Kameraden respektieren das, es sei aber auch schon vorgekommen, dass seine Tefillin für eine Stirnkamera gehalten wurden, erzählt er lachend.

Alexander Khmara ist der Meinung, dass jeder, der zurzeit in den Schützengräben der Ukraine oder an der Front ist, einen Akt der Mesirut Nefesch, der Selbstaufopferung, vollbringt. »Im Moment ist es das Wichtigste, dass wir dem Sieg näherkommen, doch nach dem Krieg sehe ich mich nicht in den Reihen der ukrainischen Streitkräfte«, sagt der junge Mann.

TRAUMATA Angesichts der psychologischen Traumata, die derzeit fast jeder Ukrainer erlebt, glaubt Khmara, dass es nach dem Krieg viel zu tun geben wird. Er würde gern für eine gemeinnützige Organisation arbeiten und beim Wiederaufbau des Landes helfen. Doch das ist eine Frage der Zukunft.

Im Moment ist es seine Aufgabe, die Ukraine zu befreien und Soldaten auszubilden. Khmara ist davon überzeugt, dass so erfahrene und engagierte Soldaten, wie es sie derzeit in der Ukraine gibt, heute eine Seltenheit sind. Doch diese Erfahrung habe einen hohen Preis an Blutvergießen gekostet, stellt er mit Bitterkeit fest.

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