Der Rhein ist nicht nur in Basel ein beliebter Aufenthaltsort. Doch gerade in der Schweizer Stadt hat sich das Leben in den vergangenen Jahren stark an den Fluss verlagert. Beobachter sprechen von einer »Mediterranisierung« des öffentlichen Lebens, das sich bis in den Herbst hinein am Wasser abspielt. Grillpartys, Musik, »Chillen« und selbstverständlich Schwimmen sind nicht nur bei jungen Leuten überaus beliebt.
Jedes Jahr an einem Tag im September oder Oktober gesellt sich am späteren Nachmittag für kurze Zeit eine Gruppe von Menschen hinzu, die manchmal für ein gewisses Aufsehen sorgt – nicht zuletzt, weil sie festtäglich gekleidet und mit Büchern unterwegs ist. Es sind die Mitglieder der jüdischen Gemeinden der Stadt, die hier das Taschlich-Gebet (Taschlich, hebräisch: »Du sollst werfen«) verrichten. Dabei soll mit einigen kurzen Sätzen aus dem Machsor, die auf den Propheten Micha zurückgehen, der Gedanke der Teschuwa, der Umkehr zu Gott, unterstrichen werden.
»Der Taschlich-Brauch bereichert Rosch Haschana, das bereits voll von Symbolen ist, um ein weiteres«, sagt Moshe Baumel, seit knapp drei Jahren Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB).
Traditionen Die IGB, in der langjährige Traditionen besonders hoch geschätzt werden, ändert für diesen Tag sogar ihre Gebetsordnung: Legt sie sonst die Zeit für das Mincha-Gebet nah am Abendgottesdienst fest, damit die Mitglieder in der zweiten Tageshälfte nur ein- und nicht zweimal in die Synagoge kommen müssen, wird Mincha am ersten Tag des Neujahrsfestes (sofern er nicht auf einen Schabbat fällt) mitten am Nachmittag gesagt.
Anschließend pilgern viele Gemeindemitglieder zum Rhein, andere auch zum deutlich kleineren Fluss Birsig in der Nähe des Zoos, um Taschlich zu machen.
»Für viele ist Taschlich ein spirituelles Erlebnis, das sie in kleineren oder größeren Gruppen oder auch allein in sich aufnehmen möchten«, sagt Rabbiner Baumel, der immer wieder in der Gemeinde auf diesen Brauch, der in den Machsorim nur kleingedruckt ist, angesprochen wird.
Beim Taschlich handelt es sich um einen starken Brauch (Minhag), nicht um ein halachisches Gesetz wie etwa das Schofarblasen oder das Fasten an Jom Kippur.
Beim Taschlich handelt es sich um einen starken Brauch (Minhag), nicht um ein halachisches Gesetz wie etwa das Schofarblasen oder das Fasten an Jom Kippur. Die Ursprünge des Taschlich liegen im Mittelalter und damit zu gewissen Teilen auch etwas im Dunkeln.
Dass das Gewässer, an dem man Taschlich sagt, kein ruhendes, sondern ein fließendes sein soll, in dem auch Fische leben, ist ebenfalls ein Brauch an diesem Tag. Die Fische sollen dabei (ebenso wie das Wasser) den Wunsch nach Reinheit symbolisieren, auch weil sie nach jüdischer Auffassung nicht an der Sintflut beteiligt waren, ihr also nicht zum Opfer fielen. Rabbiner Jesaja Horowitz, ein Kabbalist des 16. Jahrhunderts, der unter anderem Oberrabbiner in Prag war, stand dem Taschlich-Gebet eher kritisch gegenüber. Er verglich die Fische mit dem Menschen: Beide müssten darauf achten, nicht in einem Netz gefangen und so der Sünde ausgeliefert zu werden.
Brotstücke Dass manche nach dem Taschlich nicht nur ihre Taschen ins Wasser ausleeren, um sich symbolisch ihrer Sünden zu entledigen, sondern sogar ganze Brotstücke ins Wasser werfen, derer sich die Fische auch im Rhein dankbar annehmen, mag ebenfalls der etwas unklaren Herkunft des Brauchs geschuldet sein.
Rabbiner Moshe Baumel nimmt in Basel, ebenso wie früher in Berlin, am Taschlich-Gebet der Gemeinde teil. Zu seinem persönlichen Ritual gehöre es allerdings nicht, sagt er. Der junge, in Wilna geborene Rabbiner folgt dem litauischen Minhag. Dieser basiert auf Meinungen des berühmten Wilnaer Gaon, der den Taschlich ablehnte. Es sei nicht gut, neue Minhagim einzuführen, deren halachische Quellen unklar seien, fand der Gaon und ging deshalb nicht zum Taschlich.