»Die Idee kam nach und nach«, sagt Edit Vörösváry. Eigentlich habe sie schon immer gern Figuren und Bilder aus Filzmaterial genäht. Als sie während des Covid-Lockdowns auf Pinterest nach neuen Motiven suchte, stieß sie auf das Bild einer Kapelle mit einer bunten Fensterrosette. Die gefiel ihr so gut, dass sie sie unbedingt in einer Stickarbeit mit kleinen Glasperlen auf Stoff darstellen wollte. Doch dann dachte sie: »Als Jüdin sollte ich es mit Synagogen versuchen!« Das war vor drei Jahren. Mittlerweile hat sich daraus eine Leidenschaft entwickelt.
Das Arbeiten erfordert nicht nur viel Geduld und Geschick, sondern auch Vorstellungskraft.
Die notwendige Technik hat Vörösváry, die früher Lehrerin und Schuldirektorin war, schrittweise ausgetüftelt: Zuerst sucht sie anhand von Bildern eine Synagoge aus, von der sie dann einen Entwurf zeichnet, der fast so präzise ist wie ein Bauplan. Dieser dient ihr als Schnittmuster. Mit dessen Hilfe schneidet sie die einzelnen Teile aus Filz aus und stellt das Bild vom Gebäude zusammen. Die Konturen und Verzierungen stickt sie mittels winziger, zwei Millimeter großer bunter Glasperlen auf das Material. Das erfordert nicht nur viel Geduld und Geschick, sondern auch Vorstellungskraft. Die Kunst besteht darin, die Gebäude mit einfachen Linien und Formen so wiederzugeben, dass man sie sofort erkennt. »Das bedeutet nicht, dass ich immer alles originalgetreu nachbilde«, räumt sie ein. »Gelegentlich weiche ich bewusst ab, um dem Bild eine persönliche Note zu geben.« Manchmal dauert es zwei Monate, bis ein Stück fertig ist.
Vörösváry ist nicht observant und kennt sich im Judentum wenig aus. Obwohl sie sich ihrer jüdischen Herkunft immer bewusst war, konnte sie keinen richtigen Bezug zu den Traditionen ihrer Vorfahren entwickeln. Die heute 82-Jährige hat den Holocaust als kleines Mädchen mit ihrer Mutter in Budapest überlebt – unter Lebensgefahr hetzten die beiden von einem Versteck zum anderen. Vörösvárys Vater hatte kein Glück, er wurde verschleppt und ermordet, genauso wie der Rest der Verwandtschaft. Über diese Zeit hat Edit Vörösvárys Mutter ihr Leben lang geschwiegen. Die Tochter hat erst durch ihr neues Hobby zum Jüdischsein zurückgefunden. Sie hat viel über Synagogen gelesen und kennt sich inzwischen gut aus mit der Geschichte der Bethäuser und deren Architektur. Eine ihrer ersten Arbeiten war die Abbildung der Großen Synagoge in Budapest – sie ist das größte jüdische Bethaus in Europa.
Eine ihrer ersten Arbeiten war die Abbildung der Großen Synagoge in Budapest.
Vörösvárys Lieblingsstück ist jedoch eine kleine hölzerne Dorfsynagoge aus dem Jahr 1747. Sie existiert heute nur noch auf alten Aufnahmen.
Zurzeit arbeitet Edit Vörösváry an der Synagoge von Beregowo, einer Stadt, die heute im Westen der Ukraine liegt und bis zu den Grenzverschiebungen nach dem Ersten Weltkrieg zu Ungarn gehörte. Zu Sowjetzeiten funktionierte man das Gebäude zu einem Kulturzentrum um und verblendete die imposante Fassade mit einer grauen Betonwand. Vor anderthalb Jahren sollte sie freigelegt werden, doch dann kam der Krieg dazwischen. Bislang hat Vörösváry 27 Bilder angefertigt. Verschenken oder verkaufen käme für sie nicht infrage, zu stark hänge sie an den Arbeiten. Freunde hätten ihr vorgeschlagen, sie in einer Ausstellung zu zeigen. »Das kann ich mir eher vorstellen«, sagt sie, auch wenn das mit einem großen Aufwand einhergehe.
Man könne die Bilder jedoch nicht einfach so aufhängen. Es brauche ein Konzept, und zu jedem einzelnen Bild müsse es eine Erläuterung geben, wendet sie ein. »Nun ja, ich mache noch einige schöne Synagogen fertig, und dann können wir über eine Schau reden!«