Großbritannien

Suchmaschine Schidduch

Rachel ist 24 Jahre alt und im besten Alter zum Heiraten. Sie wohnt vielleicht in London, vielleicht auch in Antwerpen oder in Basel. Es spielt keine Rolle wo, denn Rachel steht für die vielen jungen Frauen und Männer auf dem jüdischen Heiratsmarkt, die einen Schidduch brauchen.

Damit wird im Judentum ein Arrangement verstanden, bei dem heiratswilligen Menschen der entsprechende Partner empfohlen wird. Rachels Mutter möchte ihre Tochter schon bald unter der Chuppa, dem jüdischen Hochzeitsbaldachin, sehen. Doch wer kommt als Bräutigam infrage? Bevor die Mutter beginnt, selbst einen passenden Ehemann für die Tochter zu suchen, wendet sie sich an eine Schadchanit, eine Heiratsvermittlerin.

Informationsaustausch zwischen den jeweiligen Familien

Hier kommt Jochewed Grossberger ins Spiel. Sie übernimmt den Informationsaustausch zwischen den jeweiligen Familien. »Es ist meine Aufgabe als Vermittlerin, alle relevanten Informationen und Faktoren, die bei der jüdisch-orthodoxen Partnersuche von Bedeutung sind, weiterzugeben«, erklärt Grossberger im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Sie prüft den familiären Hintergrund und damit, wer die Familie überhaupt ist und wo sie lebt, sowie Ausbildung, Beruf, Vorstellungen und Lebenswelt, Alter und Größe der Heiratskandidatinnen und -kandidaten.

Beim Stichwort Größe meint sie: »Das ist keine unwichtige Nebeninformation. In unseren Kreisen ist es wenig üblich, dass die Frau um einiges größer als der Mann ist.« Und da ist noch eine wichtige Information – der Name: »Nehmen wir an, die zukünftige Braut heißt Lea Cohen. Aus Respekt gegenüber den Schwiegereltern wäre es nicht optimal, wenn die Schwiegermutter den identischen Namen hätte. Umgekehrt will der Schwiegervater schließlich auch nicht wie der Schwiegersohn heißen.«

Wenn Rachel, Mosche, Shmuli oder Edna also heiraten wollen oder merken, dass die Uhr auf dem Heiratsmarkt zu ticken beginnt, wie sollten sie demnach vorgehen? »Die jungen Leute brauchen erst einmal gar nichts zu unternehmen. Dafür sind deren Eltern und ich da«, beruhigt die gebürtige Zürcherin, die mit ihrer Familie in Manchester lebt und orthodoxe Paare aus ganz Europa zusammenbringt.

Sie ist überzeugt, dass viele diese Starthilfe brauchen. Niemand bleibe gern lange Single.

Sie erstellt Listen mit Namen und Informationen, »um zu wissen, wer nun auf dem Markt ist«. Danach sei das Vorgehen eigentlich sehr simpel: »Entweder ruft mich die Familie der Frau oder die des Mannes an und fragt, ob ich jemanden kenne, der als Ehepartner oder -partnerin infrage kommt.« Von da an geht Grossberger entweder allein oder zusammen mit befreundeten Heiratsvermittlerinnen ihre Listen durch – die Suchmaschine läuft.

Ein aufwendiges Hin und Her

Sie sagt, es sei ein aufwendiges Hin und Her, das in unzähligen Telefonaten und vielen WhatsApp-Nachrichten zum Ausdruck komme. »Die Arbeit des Matchmaking umfasst praktisch alles vom ersten Kontakt bis hin zur Verlobung«, erzählt die 35-Jährige. Denn sie sei der einzige Kontakt, den das Paar zueinander habe. »Alles läuft über mich. Ich gebe jeweils die Informationen der einen Familie an die andere weiter, hole Referenzen ein, organisiere die Dates. Und zwar über Wochen.« Aber natürlich könne sich dieses Kennenlernen nicht über Monate hinziehen, sonst sei man blockiert. »Man datet nur mit einer Person auf einmal, was bereits für genug Kribbeln sorgt.«

Die jungen Paare würden innerhalb der Gemeinschaft auch mit kaum jemandem über diesen Dating-Prozess sprechen – außer mit den eigenen Eltern, vielleicht der besten Freundin oder einem Dating-Coach. Das Ganze sei eine diskrete Angelegenheit, die mitunter zu Nervosität bei den Kandidaten führen könne.

Hinzu komme die Sache mit der Körperlichkeit. »Irgendwann will sich das Paar berühren. Das geht vor der Hochzeit nicht. Auch ein Grund, weshalb man die Sache zügig vorantreibt. Wir sind alle nur Menschen und alle aus demselben Holz geschnitzt, Mann oder Frau, religiös oder nicht, jüdisch oder nicht.«

Deshalb beschränke sich die Dating-Phase bei den jüngeren Singles in der Regel auf zwei bis vier Wochen. Bis beide Seiten ihr definitives Ja geben, finden im Durchschnitt sieben bis zehn Treffen statt. Manchmal auch mehr. Aber Vorschriften, wie viele es braucht, gibt es keine. »Jedes Paar hat seine eigenen Vorstellungen und Vorlieben.« Die einen treffen sich in einer Hotellobby ein wenig außerhalb ihres Bewegungskreises, andere ziehen es vor, Bowlen zu gehen.

Interessiert, gesprächig, introvertiert oder lustig

Und wieder andere entscheiden sich für einen Spaziergang. Aber danach sei irgendwann offenkundig, ob der zukünftige Ehepartner interessiert, gesprächig, introvertiert oder lustig ist. »Es macht keinen Unterschied, ob ich mit jemandem vier oder acht Wochen ausgehe. Vieles ist schon relativ am Anfang klar.« Und wie war das nochmal mit der Liebe? »Die wächst.«

Jochewet Grossberger, die neben den Schidduchim als Grundschullehrerin in einer jüdischen Mädchenschule unterrichtet, ist davon überzeugt, dass es diese Art von Starthilfe braucht. Denn niemand wolle lange Single bleiben. »Ältere Singles geraten in Verzweiflung, weil sie wissen, dass es mit der Partnersuche schwieriger wird, je älter man wird.« Es sei ihre Aufgabe zu helfen.

Aber sie sieht darin auch einen viel tieferen Grund: »Wir setzen nicht einfach so viele Kinder in die Welt, wie das Außenstehende oft denken. Wir haben eine große Verantwortung, der wir uns bewusst sind und der wir nach bestem Wissen und Gewissen Rechnung tragen.« Ihr »Job als Mutter« sei nicht vollständig, wenn sie nicht alles gebe, um ihr Kind glücklich zu machen, sagt Grossberger: »Der Glaube, dass alles einen göttlichen Ursprung hat, wird im Judentum als Emuna bezeichnet. So habe ich eine göttliche Aufgabe, dass meine Kinder glücklich werden. Deshalb bemühe ich mich auch als Elternteil, mein Kind gut zu verheiraten. Aber die Verantwortung endet nicht mit der Hochzeit.«

Doch zurück zum Verkuppeln: Wenn alle Zeichen auf Grün stehen, werde – das sei ein unromantischer, aber wichtiger Aspekt, meint Grossberger – abgeklärt, ob das Paar auch genetisch zusammenpasse.Dabei geht es auch um bei aschkenasischen Juden häufiger auftretende Krankheiten – wie etwa das Tay-Sachs-Syndrom. »Orthodoxe Juden haben viele Kinder. Das ist wahr. Aber wir haben auch eine Verantwortung.«

Hierfür werden Daten an eine Firma in den USA geschickt, die innerhalb weniger Stunden prüft, ob das Paar genetisch zusammenpasst. Es könne passieren, dass sich ein Paar immer mehr mag, sich vielleicht sogar langsam verliebt, trotzdem falle der Test zu Ungunsten des Paares aus. »Das ist schmerzhaft, und dem versuchen wir entgegenzuwirken: indem wir die Sache noch vor dem Dating abklären.«

»Junge Paare zusammenzubringen, bedeutet viel Aufwand«

Das klingt nach sehr viel Arbeit. »Junge Paare zusammenzubringen, bedeutet viel Aufwand. Aber es erfüllt mich mit großer Freude, wenn die Sache gelingt.« Ehrenamtlich sei die Arbeit aber nicht. Nach jedem erfolgreichen Match bezahlen beide Familien den Betrag, den sie sich leisten können. Grossberger kann mit Stolz auf eine gute Erfolgsquote blicken. »Bisher habe ich 15 Paare gematcht«, sagt sie auf Schweizerdeutsch, doch das British English sickert zwischendrin immer wieder einmal durch.

Bei über 100 Personen, die sie schon angefragt haben, kam es selbstverständlich auch vor, dass ein Schidduch nicht geklappt hat. »Das ist nicht weiter schlimm. Es muss immer von beiden Seiten grünes Licht kommen, ob man weitermachen will. Tut dies die eine Familie nicht, bricht man ab. Das ist auch okay.«

In diesem Zusammenhang wehrt sich Grossberger gegen den Vorwurf der arrangierten Ehen, wie es manchmal aus der säkularen Welt zu hören sei. »Jede Frau und jeder Mann muss ihr beziehungsweise sein Einverständnis geben. Nur die Suche ist organisiert.«

Es könne selbstverständlich vorkommen, dass kein Schidduch notwendig sei, weil sich das Paar privat kennengelernt habe. Das sei jedoch bei den sehr religiösen Familien nicht oft der Fall, weil die Lebenswelten der jungen Frauen von denjenigen der jungen Männer getrennt sind. »In der Orthodoxie hat man nicht viel mit dem anderen Geschlecht zu tun, bis man verheiratet ist. Trotzdem kommt es auf die einzelne Familie an.«

Grossberger wehrt sich gegen den Vorwurf, dass es sich um arrangierte Ehen handle.

So sei sie selbst in einem offenen Haus aufgewachsen, wo auch einmal ein Freund des Bruders zu Besuch kam. Es hätte gut sein können, dass sie ihren zukünftigen Ehemann auf diese Weise kennengelernt hätte. »Aber ich wollte in der Tradition meiner Eltern meinen Mann finden.«

Seit 16 Jahren ist Jochewed Grossberger glücklich verheiratet und Mutter von sechs Kindern. Sie werde immer zu den Hochzeiten der gematchten Paare eingeladen. »Wenn einige Zeit später dann ein Baby zur Welt kommt, fühlt es sich fast ein wenig so an, als wäre ich Oma geworden«, sagt sie schmunzelnd.

Natürlich habe der liebe Gott das letzte Wort, »aber ich bin zumindest ein bisschen daran beteiligt«.

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