Ein Gespenst geht um im beschaulichen Riehen – das Gespenst der jüngeren Schweizer Vergangenheit. Ausgerechnet in seinem Wohnort Riehen bei Basel, unmittelbar an der deutschen Grenze, will der seit 1973 in der Schweiz lebende Unternehmensberater und frühere Pfarrer Johannes Czwalina eine Gedenkstätte für diejenigen jüdischen Flüchtlinge errichten, die zwischen 1939 und 1945 von den Schweizer Behörden zurück nach Deutschland geschickt wurden. Für viele bedeutete das den Tod.
Entgegen seiner Bevölkerungsentwicklung beharrt Riehen darauf, ein Dorf zu bleiben. Der Ort ist über die regionalen Grenzen hinaus bekannt geworden durch die weltberühmte Fondation Beyeler, ein Kunstmuseum, das gelegentlich in den Feuilletons der deutschsprachigen Presse erscheint. Doch über manche Berichte, die seit einiger Zeit in den lokalen Medien zu lesen sind, freuen sich die Bewohner des Ortes nicht.
Der 58-jährige, sehr umtriebige Johannes Czwalina, der über gute berufliche Kontakte in die deutsche Politik und Wirtschaft verfügt und sich auch als Buchautor einen Namen gemacht hat (Karriere ohne Reue, Wer mutig ist, der kennt die Angst), zeigte sich erschüttert, als ihm bewusst wurde, dass das Bahnwärterhaus, das er privat als Gästehaus gekauft hatte, und damit auch Riehen in die jüngere europäische Geschichte verwoben ist. Denn in dem Gebäude wohnten während des Zweiten Weltkriegs Angehörige der Deutschen Reichsbahn, die die Zurückweisungen jüdischer Flüchtlinge mit eigenen Augen gesehen haben wollen und später Johannes Czwalina darüber auch berichteten. Diese Bahnlinie führt nämlich über Riehener und damit Schweizer Territorium, wird aber seit eh und je von Deutschland betrieben.
Zeichen Czwalina, nach eigenen Angaben in den 50er-Jahren in einer »arisierten« Villa am Berliner Wannsee aufgewachsen und durch diese Tatsache seither für die Geschehnisse rund um die Schoa sehr sensibilisiert, wusste daraufhin sofort: »Da muss ich ein Zeichen setzen.« Sprich: Aus dem Bahnwärterhaus sollte eine Gedenkstätte werden, eine Art Raum der Stille und der Besinnung. Die historische Beratung und Einrichtung sollte das Institut für Jüdische Studien in Basel übernehmen. Geplant war eine große Eröffnung, zu der Czwalina auch Muslime und die jüdische Gemeinde einladen wollte. Doch daraus wird vorerst nichts. Denn inzwischen stehen sich das Institut einerseits und Johannes Czwalina sowie dessen Mäzen und Freund J. Rudolf Geigy andererseits unversöhnlich gegenüber.
Was war passiert? Zum einen sorgte der mediengewandte Czwalina im Sommer selbst in vielen Kreisen für Stirnrunzeln, ja erhielt teilweise sogar Morddrohungen: Er hatte sich nämlich mutig bereit erklärt, die Geldbußen für diejenigen muslimischen Eltern in Basel zu bezahlen, die ihre Kinder, entgegen den Gesetzen, nicht zum Schwimmunterricht der Volksschule schicken wollten. Eine humanistisch gemeinte Geste, mit der sich der Theologe in der auch zunehmend islamkritischen Schweiz nicht wirklich neue Freunde schuf, wenn er auch teilweise Zustimmung erntete.
Diese Aktion allein hätte aber die Basler Historiker sicher noch nicht zum wissenschaftlichen Rückzug getrieben. Dafür sorgte vielmehr die Tatsache, dass an der Riehener Gedenkstätte eine Art Menora des israelisch-kanadischen Bildhauers Rick Wieneke aufgestellt worden soll. Der in Arad lebende Künstler ist im Umfeld christlich-missionarischer Kreise auszumachen, was teilweise offensichtlich auch in sein Werk einfließt. Eine Tatsache, die Erik Petry, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Jüdische Studien der Uni Basel, als »hochproblematisch« bezeichnet: »Wienekes Werke entsprechen nicht unserem Verständnis von Geschichtswissenschaft.« In einer seiner Arbeiten stellt der Künstler etwa eine Verbindung zwischen der Schoa und der Kreuzigung Jesu her.
Mobbing Der so jäh gerissene Gesprächsfaden zwischen Johannes Czwalina und den Mitarbeitern des Instituts ist bis jetzt auch nicht wieder geknüpft worden. Der Unternehmensberater wirft den Historikern über die Medien Mobbing vor, diese stellen erneut sein Geschichtsverständnis infrage. Auch die Riehener Gemeindevertreter, mit denen Czwalina, nach eigenen Angaben, sonst in gutem Einvernehmen zusammenlebt, sind inzwischen eher auf Distanz gegangen. Er werde abwarten, was sich da um das Bahnwärterhaus weiter entwickele, sagte der Gemeindepräsident kürzlich im Lokalfernsehen. Johannes Czwalina und Rudolf Geigy wollen dennoch die Gedenkstätte in den kommenden Wochen eröffnen und sie in kleinem Maßstab betreiben.