Stephen Breyer, seit 1994 Richter am Supreme Court, dem Obersten Gericht der Vereinigten Staaten, will im Juni, wenn das laufende Gerichtsjahr zu Ende geht, zurücktreten. Dies tut der 83-Jährige aber nicht aus Altersgründen, sondern er möchte Platz machen für eine linke Wunschkandidatin von US-Präsident Joe Biden.
Und er möchte dies möglichst schnell tun, denn er will garantieren, dass dies noch vor den Midterm-Wahlen im Herbst geschieht – nach all den Erfahrungen mit der Trump-Administration und den Republikanern, die gegen die Gepflogenheiten jeweils vor Antritt eines neuen Präsidenten noch schnell Vakanzen am Supreme Court mit Personen ihrer Wahl besetzen.
Und da im Herbst bei den Midterms mit dem Verlust der Zweikammer-Mehrheit der Demokraten zu rechnen ist, ist Breyers Vorhaben durchaus realpolitisch. Ihm nachfolgen soll die erste schwarze Richterin – ein Wahlversprechen Joe Bidens, das seine Position bei den afroamerikanischen Wählern für die kommenden Urnengänge wahrscheinlich stärken würde.
»Der jüdische Stuhl« Breyers Rückzug würde den Anteil jüdischer Richter auf Elena Kagan reduzieren und den Stuhl Breyers, der »der jüdische Stuhl« genannt wurde – er wird seit 1916 fast ausschließlich mit jüdischen Richtern besetzt –, vielleicht vakant werden lassen. Dieser Rückzug wäre dennoch im Sinne der eigenen Sache – und im Sinne der Demokraten. Die konnten seit 2010, zunächst wegen der Blockade der Republikaner zu Obama-Zeiten und zuletzt unter Trump, keine Richterposten mehr im Supreme Court besetzen.
»Mein bevorzugter Blick auf die Dinge folgt dem Ausspruch Hillels«, sagte Breyer einmal und spielte damit auf die Weltsicht seines Vaters an. »›Wenn ich nicht für mich selbst bin, wer wird dann für mich sein? Wenn ich nur für mich bin, was bin ich? Wenn nicht jetzt, wann dann?‹ Das fasst es für mich recht gut zusammen.« Dies sei auch sein Grundverständnis von Recht und Gesetz, sagte Breyer einmal – auch wenn sein Jüdischsein und seine Erziehung keinen Einfluss auf seine juristischen Entscheidungen haben.
Breyer, der aus einer jüdischen Familie aus San Francisco mit rumänischen Wurzeln stammt, ist seiner religiösen Heimat bis heute treu geblieben.
»Das Vermächtnis der Rechtsprechung in diesem Land ist es, das Leben der Menschen besser zu machen, sicherzustellen, dass ein hinreichendes Niveau von sozialer Gleichheit existiert, und die Wahrung der Grundrechte des Einzelnen zu garantieren«, so Breyer. »Jeder Richter in den Vereinigten Staaten führt diese Grundsätze auf die Gründung dieser Nation zurück, und den Juden ist natürlich klar, dass dieses Erbe viel weiter zurückreicht.«
HERKUNFT Breyer, der aus einer jüdischen Familie aus San Francisco mit rumänischen Wurzeln stammt und in der dortigen Reformsynagoge Temple Emanu-El seine Barmizwa hatte, ist seiner religiösen Heimat bis heute treu geblieben, wenn er das Lernen von Gerechtigkeit in seiner Gemeinde betont. »Ich denke an Zedaka, die (…) weder ausschließlich Wohlfahrt bedeutet, also durch Liebe zu geben, noch die Herrschaft des Gesetzes. Aber es ist der Ausdruck des Strebens, eine bessere Welt zu schaffen.«
Dieses Zitat verdeutlicht den Einfluss seiner Erziehung und sein Ethos. Deshalb macht Breyer jetzt sowohl seinen »jüdischen Stuhl« im Supreme Court frei als auch seinen Platz als geschätzter und unermüdlicher Streiter für Gesetz und soziale Gerechtigkeit.
Und sollte wirklich Joe Bidens Favoritin Leondra Kruger, Richterin an Kaliforniens Supreme Court, Breyers Nachfolgerin werden, so bliebe der jüdische Stuhl doch nicht gänzlich unbesetzt. Denn Kruger hat jamaikanische und jüdische Wurzeln. Das wäre dann wohl Zedek, ganz im Geiste Breyers.