Die führende spanische Tageszeitung El País wählte für ihren Beitrag eine Überschrift, die bei den Lesern wohl zwiespältige Gefühle ausgelöst hat: »Die Synagoge der Zwietracht«. Wer ihn las, stieß nicht auf Hassprediger, sondern auf Eigentumsverhältnisse, die bis ins Jahr 1300 zurückreichen und nun Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen dem Verband der jüdischen Gemeinden in Spanien und der katholischen Kirche des Landes sind.
Alles begann vor mehr als 700 Jahren in Toledo. Damals lebten in der zentralspanischen Stadt rund 12.000 Juden. Sie bauten mehrere Synagogen, eine davon hieß Ibn Schuschan. Nach außen hin wirkt der Bau völlig unscheinbar, doch im Inneren erstrahlt ein Glanz, der seinesgleichen sucht. Wände und Pfeiler sind leuchtend weiß verputzt, in den höheren Wandsegmenten findet sich ein reichhaltiger Stuckdekor. Die fünf Schiffe des Gebäudes sind durch Arkaden mit Hufeisenbögen getrennt und ruhen auf 24 achteckigen Pfeilern. Unverkennbar ist der Einfluss der maurischen Kunst, die in jener Zeit den Synagogenbau geprägt hat.
museum Nach den Übergriffen auf Toledos jüdisches Viertel in den Jahren 1355 und 1391 wurde die Synagoge der katholischen Kirche zugeschlagen. Ihr neuer Name: Santa María la Blanca (Santa María die Weiße). Lange Jahre diente das Gebäude als Kirche, heute ist sie säkularisiert und wird als Museum genutzt.
Im Juli 2012 wollte der Juraprofessor der Madrider Complutense-Universität, Javier García Fernández, auf Bitten der jüdischen Gemeinden in Spanien der Frage nachgehen, wem Santa María la Blanca jetzt eigentlich gehört – den Juden, denen sie weggenommen wurde, oder der katholischen Kirche. Er fragte im Grundbuchamt der Stadt nach und bat um Übersendung einer Kopie, aus der die wahren Besitzer ersichtlich sind. Es stellte sich heraus, dass als Eigentümerin die Toledaner katholische Gemeinde von Santo Tomé eingetragen ist. Doch dann geschah plötzlich etwas Merkwürdiges: Zwei Tage nach der Anfrage des Juristen übertrug die kleine katholische Gemeinde die ehemalige Synagoge dem Erzbischof von Toledo, Braulio Rodríguez Plaza.
»Sie schenkten dem Erzbischof die Synagoge, weil er sehr viel mehr Schutz bieten kann als die Gemeinde von Santo Tomé, die vergleichsweise unbedeutend ist«, vermutet Javier García Fernández.
Brief Nun hat der Präsident des Verbands der jüdischen Gemeinden in Spanien, Isaac Querub, einen neuen Vorstoß unternommen und dem Erzbischof einen Brief geschrieben, in dem er um ein Gespräch bittet. Querub weiß, dass seine rechtliche Position nicht sonderlich tragfähig ist, um die Forderung nach einer Rückgabe gerichtlich durchzusetzen, deshalb setzt er auf einen Kompromiss: »Im 21. Jahrhundert wäre eine symbolische Rückgabe der Synagoge eine wunderbare Geste für die Juden, die in diesem Land leben.«
Auf katholischer Seite hüllt man sich vorerst noch in Schweigen. In einem offiziellen Schreiben der Diözese von Toledo heißt es: »Der Herr Erzbischof hat entschieden, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Erklärung in dieser Angelegenheit abzugeben.«
Beim Tauziehen um Santa María la Blanca spielen auch finanzielle Interessen eine Rolle. Nach Angaben von El País ist die ehemalige Synagoge das am dritthäufigsten besuchte Monument von Toledo. Jeden Sommer wird es von Touristen buchstäblich überschwemmt. Im vergangenen Jahr zählte Santa María la Blanca fast 406.000 Besucher, die Eintrittsgelder in Höhe von rund 750.000 Euro entrichteten. Diese Summe teilte die katholische Kirche bislang unter Klöstern sowie einem Fonds zur Unterstützung anderer Kirchen auf, außerdem mussten davon die Mitarbeiter des Museums bezahlt werden.
Dass die katholische Kirche eine religiöse Einrichtung an Juden freiwillig zurückgibt, ist bislang nur einmal geschehen: im Juli vergangenen Jahres in Palermo auf Sizilien. Dort übertrug sie der jüdischen Gemeinde einen Gebetsraum nahe der Kirche von San Nicolò da Tolentino, die auf den Trümmern einer zerstörten Synagoge errichtet wurde.