Golders Green im Norden Londons gilt als das jüdischste Viertel Großbritanniens überhaupt. Mit einem Bevölkerungsanteil von 37 Prozent gibt es im gesamten Königreich wohl kaum einen anderen Ort, an dem so viele Juden zu Hause sind. Doch trotz ihrer großen Zahl und der jüdischen Geschäfte und Synagogen, die das Bild prägen: Juden sind nicht die Mehrheit der Bewohner. Es dominiert die typische Londoner Mischung von Menschen unterschiedlichster Herkunft – darunter natürlich auch viele Muslime.
Vor zwei Jahren noch demonstrierte das Viertel sein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. »Vereintes Golders Green – Hoffnung statt Hass«, hieß es. Mit Erfolg verhinderte man damals gemeinsam einen Marsch von Rechtsextremisten. Seit geraumer Zeit aber dominiert eine andere Diskussion das Viertel: die Kontroverse um den Umbau einer mehr als 100 Jahre alten Konzerthalle, dem Golders Green Hippodrome.
Dort, wo einst bekannte Künstler wie Marlene Dietrich, Django Reinhardt oder Bands wie Queen, Jethro Tull, AC/DC und Roxy Music auftraten, traf sich zuletzt eine christliche Gemeinde. Aber auch die ist nun Geschichte. Jetzt will dort unter dem Namen Hussainiyat al-Rasool al-Adham-Moschee ein schiitisch-islamisches Zentrum mit Platz für bis zu 1000 Besucher seine Pforten öffnen.
Kritik Das gefällt nicht allen Bewohnern in Golders Green. Auch einige Juden meldeten ihre Bedenken an. 6000 Unterschriften und rund 200 Einwände gegen die Planungserlaubnis landeten mittlerweile bei der Stadtverwaltung. In zahlreichen Kommentaren wurde das zu erwartende höhere Verkehrsaufkommen als Kritikpunkt dagegen genannt. Andere Bemerkungen hatten jedoch unmissverständlich islamfeindliche Züge. Und diese kamen auch aus jüdischen Reihen. Das »jüdische Golders Green« werde durch das Zentrum bedrängt und die Terrorgefahr erhöht, hieß es. Auf Facebook mobbte eine Gruppe sogar mit dem alten antirassistischen Slogan vom »Vereinten Golders Green«.
Nachdem bekannt wurde, dass sich unter denen, die massiv gegen das islamische Zentrum Stimmung machten, auch Juden befanden, war der Schock darüber sehr groß. Sofort brach in den jüdischen Medien Großbritannien ein Sturm der Entrüstung los – allen voran der traditionsreiche Jewish Chronicle. Unter der Überschrift »Die Gegner des Hippodroms sind eine Schande«, schrieb Chefredakteur Stephen Pollard, dass solche Bedenken aus jüdischen Reihen einfach nur grotesk seien. »Seit wann wollen Juden in einem Ghetto leben?«, fragte er vorwurfsvoll.
Pollard sei sich zwar der Gefahren des islamistischen Terrors durchaus bewusst und keinesfalls naiv. Doch es gebe keinerlei Beweise, dass die Muslime, die aus dem alten Hippodrom nun eine Moschee machen wollen, irgendetwas mit Terrorismus zu tun haben sollen. »Die Grundlage solcher Behauptungen ist allein das Vorurteil, dass ein Muslim automatisch unser Feind sein muss.« Pollard spricht von einer schrecklichen Ironie, denn »diejenigen, die in dem Glauben protestieren, sie würden damit den Terrorismus bekämpfen, liefern den Islamisten die Argumente quasi frei Haus« und bestärken sie in der Annahme, »dass der Westen ihr Feind sei«.
British Jews Weitere jüdische Stimmen schlossen sich seiner Kritik an. Darunter befanden sich Prominente wie Laura Marks, vormals Vizepräsidentin des Board of Deputies of British Jews, Adrian Cohen, der Vorsitzende des Londoner Jewish Forum, Vicki Belovski, die Rebbetzin der konservativen Golders Green United Synagogue sowie Rabbi Mark Goldsmith, Rabbiner der Golders Green’s Alyth Reform-Gemeinde.
Der Sprecher der Hussainiyat al-Rasool al-Adham-Gemeinde, Ahmad Alkazemi, zeigte sich überrascht und enttäuscht angesichts mancher Kommentare, die die Gegner des Zentrums in Stellung brachten. Dabei betonte er auch, dass man sich bei den Plänen für die Neunutzung des Hippodroms ganz bewusst für die Form eines Zentrums entschieden habe und nicht für eine Moschee. Auf diese Weise könne die Konzerthalle ebenfalls für andere Zwecke genutzt werden.
»Von unserer Seite aus hatten wir keinerlei Bedenken, nach Golders Green zu ziehen. Soziales Zusammenwachsen, interreligiöser Dialog und Integration, all diese schönen Worte können nur dann Realität werden, wenn man sich gegenseitig kennenlernt.« Die Tore des Zentrums, das im Dezember Einweihung feiern soll, seien für alle Personen »unabhängig von ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit offen«.