Akiva Alpert ist ein Mann mit vielen Identitäten: Modedesigner mit Kultstatus in Kalifornien, Konzeptkünstler mit Ausstellungen in aller Welt, ein Kind der amerikanischen Südstaaten. Er beschreibt sich als neurodivers, als jemanden, der von der psychologischen Norm abweicht. Und er ist Jude, kulturell und spirituell. »Ich bin ein junger jüdischer Typ, der Kunst mag und seinen Platz in der Welt sucht«, sagt Alpert in einem Zoom-Call aus seinem Apartment in Los Angeles.
Seinen Platz in der amerikanischen, speziell der jüdisch-amerikanischen Welt der Mode hat Akiva Alpert – 34 Jahre alt, groß, blass, schwarzer Haarschopf mit kurz rasierten Seiten – bereits gefunden. Sein alternatives Szene-Label steht für Mode zwischen High Fashion und Streetwear, viel Schwarz, mit jüdischen Symbolen und hebräischen Schriftzeichen.
Millennials Vertrieben wird Alperts Mode fast ausschließlich online, Zielgruppe sind Millennials und Angehörige der sogenannten Generation Z, der Generation der zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Unter seinen Kunden sind Sänger und Schauspieler wie Justin Bieber, Ariana Grande und Miley Cyrus.
Alperts Vorfahren kommen aus der heutigen Ukraine, sie flohen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor den Pogromen in die USA, lebten zunächst in New York und ließen sich dann in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia nieder. Als Akiva vier Jahre alt war, zog seine Familie in die Kleinstadt Albany in den ländlichen Süden von Georgia. Jüdisches Leben fand hier so gut wie gar nicht statt.
»Das war eine komplett fremde Welt, und ich musste einen Weg finden, darin klarzukommen«, sagt Alpert. Aber das sei auch eine riesige Chance gewesen: »Ich konnte mich selbst entdecken, statt mich in ein bestehendes Raster einzufügen.«
anderssein Alpert erfuhr in seiner Jugend Antisemitismus, offen und versteckt, von Lehrern und von Eltern seiner Freunde, »aber nie von meinen Freunden selbst«, sagt er. Es waren vor allem die ständigen, teils hämischen Hinweise auf sein Anderssein, die ihm in die Erinnerung eingebrannt sind. »Das passiert jeden Tag, bis heute.«
Seine Kunden sind Sänger und Schauspieler wie Justin Bieber, Ariana Grande und Miley Cyrus.
Er fand seine Heimat in der alternativen Musikszene – vor allem Post Hardcore, Death Metal und andere Subgenres des Punk Rock –, vermischt mit Elementen der schrillen und futuristischen Y2K-Kultur, dem Lifestyle-Trend der Jahrtausendwende.
Erst auf dem College tauchte Alpert tiefer in die jüdische Kultur ein, fühlte sich von der jüdischen Esoterik und Mystik, der Kabbala, angezogen. Er studierte Film und Marketing an der Georgia State University in Atlanta, trat der jüdischen Studentenvereinigung Alpha Epsilon Pi bei. »Ich war endlich in meinem Element, ich war angekommen«, sagt er. Er reiste zweimal mit der Organisation »Taglit« nach Israel, einmal als Teilnehmer und das zweite Mal als Gruppenleiter.
In dieser Zeit begann er auch, statt seines Vornamens Cameron seinen Mittelnamen Akiva zu verwenden. Rabbi Akiva, jüdischer Gelehrter im 1. und 2. Jahrhundert, gilt als einer der ersten Gestalter des vorher teilweise nur mündlich überlieferten Bestands an Gesetzen und Texten für die Mischna.
SCHLÜSSELERLEBNIS Nach seinem College-Abschluss zog Alpert nach Los Angeles. Dort hatte er 2012 ein Schlüsselerlebnis, das ihn in die Welt des Modedesigns katapultierte: In einem Laden der Modekette »Urban Outfitters« sah er T-Shirts, auf deren Brusttasche ein Symbol genäht war, das einer verfremdeten Version des Davidsterns glich. »Das war antisemitisch, das war abstoßend.« Alpert war nicht allein mit seiner Empörung. Die Anti-Defamation League (ADL) bezeichnete das Spiel mit der Holocaust-Symbolik als »extrem geschmacklos und beleidigend«.
Überhaupt störte Alpert, wie einige US-Modelabels mit kitschigen Anspielungen an jüdische Kultur zu punkten versuchten. Shirts mit dem Aufdruck »Küss mich, ich bin ein Mazzeknödel« zum Beispiel. »Da habe ich gedacht: Leute, was soll das werden?«, erinnert sich Alpert, »all diese wild wuchernden Stereotype!« Und er fragte sich: Wie kann man Mode mit jüdischer Symbolik cool machen?
Er startete einen Versuch, lancierte eine Kollektion von T-Shirts mit jüdischer Ikonografie – dunkler, härter, hipper als das, was auf dem Markt war. Sein erstes Label – Akiva Stripe – gewann schnell eine treue Anhängerschaft, unter Juden und weit darüber hinaus.
kollektionen Joseph DeAcetis vom US-Magazin »Forbes« beschreibt Alperts Kollektionen als »Genre-Mix aus Hardcore Metal, Jahrtausendwende-Nostalgie und Haute Couture, inspiriert von einem kulturellen Skript über Spiritualität und Musik«.
Alperts Mode mischt nicht nur Genres, sondern auch verschiedene Materialien.
Alperts Mode – alle Stücke sind unisex und oversized – mischt nicht nur Genres, sondern auch Materialien. Kapuzenpullis aus French Terry, einem feinen Jersey, mit Strickelementen aus Kaschmir oder Jacken aus Baumwolle und Seide und besetzt mit Swarovski-Kristallen.
kunstatelier Während der Corona-Pandemie gründete Akiva Alpert ein Kunstatelier und nannte es Elioud, nach den engelartigen Hybridwesen, die im apokryphen Buch Henoch erwähnt werden. Die Engelwesen sind auch in seinen neuesten Modekollektionen präsent. »Alles, was ich tue, ist transmedial«, sagt er. »Als Modedesigner bin ich immer auch zeitgenössischer Künstler.«
Eines seiner bislang größten Kunstprojekte heißt »Better Chemicals«. Die Installation ist eine lebensgroße Replika seines eigenen Körpers, metallgerahmt und vakuumverpackt. Sie wird durchzogen von Schläuchen, durch die eine blaue Flüssigkeit rinnt. Die Flüssigkeit repräsentiert Oxytocin – häufig als »Bindungshormon« bezeichnet.
Alperts Interpretation: »Better Chemicals« beschreibe, wie neurodiverse Menschen – Menschen mit Autismus, Aufmerksamkeitsstörungen oder Lernschwächen – soziale Beziehungen erfahren, »sehr viel logischer und weniger emotional«. Aber das Kunstwerk sei auch eine Metapher für das Jüdischsein in der modernen Welt, »das Gefühl der Isolation«.
PREMIERE Anfang Mai hatte die Ausstellung in Mexico City ihre Premiere. Nächste Station ist wahrscheinlich Tokio, später kommt vielleicht Berlin. Ein weiteres Ziel: »Ich will meine Kunst und meine Mode nach Israel bringen«, sagt Alpert. Die Modeszene insbesondere in Tel Aviv sei eine coole und lebendige, aber leider auch eine ziemlich geschlossene Gemeinschaft. »Ich würde gerne dazugehören, eines Tages.«
Er habe wahnsinnig viele Ideen für künftige Projekte im Kopf, größere und kleinere, sagt Akiva Alpert mit einem leisen Lachen – »alles, was das Bedürfnis in mir befriedigt, meine Verrücktheiten und Neurosen in meiner Kunst abzubilden«.