Fast immer gab es Kartoffelsalat mit Knackwurst und hinterher Schokoladeneis. Den Imbiss hatte seine Frau Ruth ins Büro schicken lassen, in den 13. Stock. Wenn Hans Stern über Bücher, Briefmarken und deutsche Geschichte plauderte, wollte er nicht gestört werden. Der Patriarch und Pionier war immer auf dem neuesten Stand, die internationale Presse hatte er gelesen. Über Edelsteine sprachen wir so gut wie nie; übers Geschäft hin und wieder. Er machte sich Notizen in zarter Sütterlin. So war er: ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle, korrekt und kerzengerade.
Dezent Vor sieben Jahren ist Hans Stern im Alter von 85 Jahren gestorben. Das Schmuckimperium, das er gegründet hatte, das Familienunternehmen H. Stern, wird seither von seinem ältesten Sohn Roberto (54) geführt. Wie der Vater tritt auch der Sohn ganz schmucklos und dezent auf – und das in diesem bunten Rio.
Der Firmengründer war von preußischer Bescheidenheit, der Sohn ist es ebenso. Allerdings schätzt er Kunstkataloge mehr als Kassenbücher. Kunst kommt von Können. Aber das sagt er nicht.
Understatement ist Roberto Sterns Stil. Statt mit Prunk und Glamour umgibt er sich mit kühler Sachlichkeit. Da wirken die Ingo-Maurer-Leuchte über dem Tisch und der Magenta-Noppen-Teppich auf den Marmorfliesen beinahe schon überladen. Roberto Stern wohnt im Stadtteil Zona Sul. »Prinzessin des Meeres« nennt man das Viertel. Man könnte hier das ganze Leben im süßen Müßiggang verbringen – aber darf man das?
Träume Satte Farben und starkes Licht dringen durch die Panoramafenster. Innen ist es still. »Ich bin der Chef der Träume« – beschreibt Roberto Stern seinen Job. »Sehen Sie, mein Vater legte Wert auf Perfektion. Jeder Stein muss perfekt sein. Das erwartet auch der größte Teil der Kundschaft. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber Schönheit ist nicht das Gleiche wie Perfektion. Mir liegt weniger an der Perfektion als am Charakter.« Das Geheimnis liegt in den natürlichen, authentischen Formen. »Das ist es, was Frauen lieben: das Authentische, das Neue, das Nicht-Berechenbare.« Warum kauft man überhaupt Schmuck? »Ganz einfach: um das Selbstwertgefühl zu stärken. Und dieses Image ändert sich natürlich im Laufe der Zeit. Ich bin dauernd hinterher, herauszukriegen, wie. Ich bin den Träumen auf der Spur.« Und ein bisschen träumt Roberto Stern dabei selbst.
Er gehört zu einer anderen Generation als sein Vater Hans Stern. Der hatte keine Zeit für Träume; er war den Nazi-Schlächtern mit seinen Eltern 1939 auf dem letzten Schiff entkommen. Von Essen, wo der Vater ein Elektrogeschäft führte, wurde er an die Copacabana gespült. Eine Familienlegende sagt: Der 16-jährige Hans hatte sein Akkordeon gerettet und brachte es mit nach Übersee. Er verkaufte es, und mit dem Grundkapital startete er zuerst einen Handel mit Briefmarken und später den mit Schmucksteinen. Die gab es in Brasilien zuhauf – nur wurden sie von den Juwelieren geringschätzig als »Halbedelsteine« abgetan.
Hans Stern, der deutsche Jude, schaffte es ganz allein, den globalen Markt der Edelsteine aufzumischen und die Schätze Brasiliens zu heben: Katzenaugen, Mondsteine und Rosenquarz, eidechsengrüne Smaragde, preußischblaue Aquamarine, honigfarbene Topase, Rubine, samtviolette Amethyste. Schließlich gingen durch seine Hände jedes Jahr mehr als die Hälfte aller dieser Schmucksteine weltweit.
Er war der Pionier, und in seinen besten Jahren sah man ihn im Hinterland auf dem Pferderücken und später im VW-Käfer bei den Maulwürfen in den Minen und den stoppelbärtigen Händlern im Schatten der Mangobäume. Hans Stern handelte nicht nur direkt mit den Schürfern – er verkaufte auch selbst an die Kunden, vor allem an die betuchten, die mit den Kreuzfahrtschiffen kamen. Bis heute gilt: Noch bevor ein Schiff in brasilianischen Häfen festmacht, sind bereits die Agenten von H. Stern an Bord.
Mäzene Das Familien-Unternehmen, das heute mit weltweit 150 Filialen und rund 3500 Mitarbeitern geschätzte 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr macht, hätte längst an die Börse gehen und nach New York oder São Paulo umziehen können. Aber welche Stadt hat dieses leichte, sinnliche Flair wie Rio de Janeiro? Ohne es an die große Glocke zu hängen, haben sich die Sterns als großartige Mäzene um die Stadt verdient gemacht.
Was aber war es, das Hans Stern an den Steinen so faszinierte? Wahrscheinlich doch die Perfektion, mit der seine Gemmologen, Graveure, Fasser und Schleifer aus den inzwischen per Computer markierten Steinen kostbare Schätze schaffen. Auch heute noch sucht der Firmenchef seine Mitarbeiter genauso sorgsam aus wie seine Steine; und seine Verkäufer sprechen alle Sprachen dieser Welt. Nach wie vor gilt: Wer bei Stern kauft, hat die Gewissheit, etwas wirklich Wertvolles erstanden zu haben. Dieser Stern ist von Rio nicht mehr wegzudenken.