Zum vierten Mal in Folge wurde der israelische Küchenchef Assaf Granit gerade mit einen Michelin-Stern für sein Restaurant »Shabour« in Paris ausgezeichnet. »Das ist unser Oscar!«, sagte er bei der Gala dem Newsportal Ynet. Und weil das Feedback der »Sternvergabe-Institution« so gut gewesen sei, »können wir ab dem nächsten Jahr über zwei Sterne nachdenken«. Aber wichtiger noch: »Es ist eine unglaubliche Ehre, in dieser Zeit einen Michelin-Stern für die israelische Küche zu erhalten.«
Denn Granit ist sich der Welt außerhalb seiner Küche durchaus bewusst. Wie sehr, das konnte man nach dem 7. Oktober 2023 sehen. Er habe in der Küche gestanden, als ihn sein Freund anrief, der Chefarzt bei der israelischen Armee ist. Und Granit war sofort bereit, die medizinische Einheit der Armee tatkräftig zu unterstützen, in der er einst selbst seinen Zahal-Dienst geleistet hatte.
Die Drohungen der Hamas tangierten ihn nicht
Für ihn sei von der ersten Minute des Krieges an klar gewesen, dass sein Platz bei den Soldaten ist: »Ich habe alle meine Angestellten und das israelische Team zusammengerufen und ihnen gesagt, dass diejenigen, die sich dafür entscheiden, nach Israel zurückzukehren, um am Krieg teilzunehmen, dies tun können und ich ihnen helfen werde, einen Flug zu bekommen«, so der 45-Jährige. Denjenigen, die nicht gehen wollten, habe es freigestanden, in Paris zu bleiben. Schließlich habe er nicht vorgehabt, seine Restaurants zu schließen. Die Drohungen der Hamas und von deren Anhängern tangierten ihn nicht. Den Alltag weiterzuleben, dies sei »eine ebenso wichtige Aufgabe, wie den Miluim anzutreten«.
»Ich musste es tun, um meinem Sohn und meinen Angestellten Vorbild zu sein.«
Assaf Granit
Zwar habe er niemals damit gerechnet, dass er in seinem Alter noch einmal die Uniform anziehen würde, »aber ich musste es tun, um meinem Sohn und meinen Angestellten ein Vorbild zu sein«, zitiert ihn der »Jewish Chronicle«. Aufgrund seines Alters ist Granit nicht mehr verpflichtet, als Reservist anzutreten. Wie in einem Paralleluniversum habe er sich gefühlt, schließlich liege das Ende seines Militärdienstes mehr als sein halbes Leben zurück.
Die in seinem Metier abverlangte Disziplin war dem Meisterkoch auch in seiner Armeeeinheit von Nutzen. Seine Kochkünste wiederum verbesserten die Truppenmoral. Granit erklärte sich bereit, den Soldaten mit guten Speisen den schweren Alltag zumindest etwas erträglicher zu gestalten. Leibeswohl und Kampfgeist gehen nicht selten Hand in Hand.
Auch Granits »Shabour«-Partner und Koch Dan Yosha kehrte für zwei Monate in die Armee zurück. Es sei die Zeit zu kämpfen, zitiert ihn der »Jewish Chronicle«. Granits Restaurants in Israel wurden für den Publikumsverkehr geschlossen und kochten fortan für die Truppe. In Paris habe es nach dem 7. Oktober einen kurzen Einbruch der Besucherzahlen gegeben. Doch dann hätte die jüdische und nichtjüdische Gemeinschaft das Restaurant sehr unterstützt, so Yosha.
Der Erfinder der »Küchenbrigade«
Kochen ist kein Zuckerschlecken. In Großraumküchen dampft es gewaltig, manch einer hat sich schon die Finger verbrannt oder mit Konkurrenten das Messer gewetzt. Um Tohuwabohu am Herd zu vermeiden, muss Ordnung herrschen. Der französische Chefkoch Auguste Escoffier ließ sich deshalb von der Armee inspirieren, als er im 19. Jahrhundert die »Küchenbrigade« erfand. Von da an war Schluss mit dem chaotischen Gewirbel und dem gehetzten Gebrüll in europäischen Küchen, stattdessen gab es eine straffe Gliederung der Aufgabenbereiche und klare Anweisungen.
Doch auch wenn die Küche offenbar mehr mit Krieg zu tun hat, als man glauben möchte, ist sie ein Ort, an dem das genüssliche Miteinander und das friedvolle Gespräch gefördert werden. Köche haben die Gratwanderung zwischen Befehl und moralischer Verantwortung zu bewältigen. Die Mitglieder der Brigade sind aus Fleisch und Blut, und doch muss alles wie am Schnürchen laufen.
Nicht wenige Köche legen die Schürze ab, weil sie dem Stress nicht standhalten. Wie schon Truman Capote sagte: »Wenn du die Hitze nicht aushältst: raus aus der Küche.« Andere wiederum nutzen die unter widrigen Bedingungen erworbenen Fähigkeiten und machen sie fruchtbar für ebendieses Draußen, wenn eine Gesellschaft im Chaos zu versinken droht.
Restaurants zu Ehren seiner Großmütter
Assaf Granit steht an der Spitze von mehr als zwei Dutzend Restaurants weltweit. Von Jerusalem bis Antibes. Das Sterne-Restaurant Shabour wurde im September 2019 eröffnet. Da hatte Granit bereits ein Restaurant in Paris und drei weitere in London. Das Shabour, das den israelischen mit dem französischen Geschmack vermählt, bekam 2021 seinen ersten Stern, auf dem Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie. Mittlerweile gibt es auch ein Restaurant in Berlin, »Berta«.
Granit hat keine Angst vor Wagnissen und traut sich mit seinen kulinarischen Experimenten auch in die Heimat seiner verstorbenen Großmutter mütterlicherseits. Berta entkam der Schoa und fand in Tel Aviv eine neue Heimat. Seine Neigung zu Disziplin und Pflichtgefühl führt Granit auf Berta zurück, während Léa, die polnische Großmutter väterlicherseits, die Lust am geselligen Beisammensein an den Enkel übertragen habe. Der erweist er im Marais, dem jüdisch geprägten Pariser Ausgehviertel, mit dem Restaurant »Boubalé« die Ehre.
»Meine Träume für mein Volk sind bedeutsamer als ein Restaurantführer.«
Ohad Amzallag
Auf den Tischen liegen Spitzendeckchen, das Porzellan ist mit bunten Blumen bemalt, die herzliche Gemütlichkeit der aschkenasischen Großmütter spürt man, sobald man Platz nimmt. Just an diesem Ort befand sich Assaf Granit, als ihn kurz nach dem 7. Oktober die Armee nach Israel rief.
Granits Pariser Kollege Ohad Amzallag wählte einen anderen Weg, um nach dem 7. Oktober die jüdische Gemeinschaft zu unterstützen. Nachdem sein Meeresfrüchte-Restaurant »Guefen« zu einem der besten 20 Restaurants in ganz Frankreich erkoren wurde, war auch das Interesse des »Guide Michelin« geweckt. Doch nach den Hamas-Massakern verzichtete Amzallag auf eine mögliche Auszeichnung, indem er sein Restaurant koscheren Richtlinien unterwarf.
Die Küche ist kein Rückzugsort mehr
»Meine Träume für mein Volk sind bedeutsamer als jeder Restaurantführer, bedeutsamer als Besprechungen jeder Art«, schrieb er auf Instagram. Dass er sein Restaurant mit dem Magen David schmücke, sei Ausdruck seines jüdischen Selbstbewusstseins und Gegenreaktion auf antisemitische Schmierereien. Und auch Amzallags Kollege David Moyal, der vor gut zehn Jahren die Pariser Dependance von Eyal Shanis »Miznon« eröffnet hat, bezieht Stellung: »Eher würde ich Paris verlassen, als meine Mesusa abzunehmen.«
Granit und seine Kollegen beweisen, dass im Krieg die Küche kein Rückzugsort mehr sein kann. Denn die Freiheit steht auf jeder Tafel, in jedem Restaurant auf dem Spiel.