Muss ich jetzt noch sagen, dass vor der wunderschönen Synagoge in der Eldridge Street in der Lower East Side kein Polizeiauto steht? Dass kein Panzerglas sie von der Straße abschirmt? Dass ich einfach eine Tür aufdrückte und in der Eingangshalle stand, wo eine freundliche weißhaarige Dame mich fragte, ob ich eine Tour mitmachen wolle? Ich wollte. Sie knöpfte mir zehn Dollar ab. Und was, wenn ich jetzt ein irrer Muslim mit Sprengstoffgürtel um den Bauch oder ein Neonazi gewesen wäre? Darüber denkt hier kein Mensch nach.
Rund um die Synagoge in der Eldridge Street ist alles chinesisch, versteht sich. Längst passé und halb vergessen die Zeiten, als in dieser Gegend noch Ladenschilder auf Jiddisch hingen. Drinnen in der Synagoge herrscht hypertrophe Pracht: Gedrechselte Säulen aus nachgemachtem Marmor halten die Frauenempore hoch, die Rosettenfenster sind kirchenglasbunt. Wie muss das am Freitagabend auf jene armen Söhne Israels gewirkt haben, die in lichtlosen Löchern ihre Werktage zubrachten – und nun standen sie plötzlich in diesem königlichen Raum!
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Synagoge in der Eldridge Street von Juden aus Osteuropa gegründet, die vor dem Zaren und seinen Pogromen davongerannt waren. Mit diesem Gotteshaus feierten sie ihre Freiheit: Davidsterne, wohin das Auge reicht. Kein Versteckspiel mehr. Die Architektur im maurischen Stil sagt mit jedem goldverzierten Schnörkel: Hier zeigen wir stolz und offen, dass wir Juden sind. Zwanzig Jahre hat es gedauert (und 20 Millionen Dollar hat es gekostet), das Gebäude wieder so instand zu setzen, wie der Besucher es nun zu sehen bekommt. Die Eldridge-Synagoge ist vor allem ein Museum. Am Schabbes findet sich hier aber immer noch ein orthodoxer Minjan zusammen.
Ein Glasfenster konnte nicht renoviert werden, weil niemand mehr lebt, der sich erinnerte, wie es früher aussah. Eine Orkanbö hatte es 1938 eingedrückt. Ausgerechnet 1938. So grüßt der Wind aus Europa, dachte ich: ein Hauch aus dem ver- pesteten Erdteil.
Eldridge Street Synagogue, 12 Eldridge Street