Seit Jahrhunderten steht dieser Löwe da und starrt in die Ewigkeit. Er ist ziemlich klein, nicht größer als ein Krug oder irgendein anderes Küchengerät. Der Löwe ist aus Kupfer und hat eine Mähne, die sich in einen Griff verwandelt. Der Löwe muss oft benutzt worden sein: Die schmückenden Gravuren an der Mähne und vom Griff wurden, während die Epochen sich ins Grab der Zeit legten, von so vielen Händen blank poliert, dass sie beinahe ganz verschwunden sind.
Manchmal ist das Aufregendste, was es in einem Museum zu bestaunen gibt, gar nicht die Hauptsache, sondern irgendeine Nebensächlichkeit. Susan L. Braunstein, eine kluge Kuratorin am Jewish Museum in der Fifth Avenue, hat das verstanden. Sie hat diesen Kupferlöwen in eine Vitrine ins Zentrum eines Raumes gestellt, als sei er ein Star.
Aquamaniles Der Löwe ist aber gar kein Star. Solche wie ihn gibt es im wildem Dutzend: Handwaschgeräte in Form von Menschenköpfen oder Tieren, die Aquamaniles genannt werden. Im Mittelalter – dieser Löwe stammt aus dem 12. Jahrhundert – gab es sie in jedem besseren Haushalt.
Was macht dieses Aquamanile also besonders? Dass er eine hebräische Inschrift trägt: »Dies ist ein Geschenk des verehrten Berachia Segal.« Die Signatur war nicht von Anfang an da, sie muss irgendwann hinzugefügt worden sein, Fachleute mutmaßen: nach 1550.
Kohanim Der Löwe, so viel wissen wir, wurde in Norddeutschland gefertigt. Und noch etwas wissen wir: »Segal« ist ein Name für Leviten. Wahrscheinlich wurde dieser norddeutsche Löwe, an dem ursprünglich nichts Jüdisches war, in einer Synagoge verwendet: Kohanim wuschen sich an ihm die Hände, ehe sie den Priestersegen spendeten. Und plötzlich träume ich ihm nach: Ich stelle mir vor, wie der ehrenwerte Berachia Segal das Aquamanile für seine Gemeinde kaufte. Ich sehe den Löwen durch Generationen von Hand zu Hand gehen, und endlich packt ihn 1938 jemand (wer?) hastig in seinen Koffer.
The Jewish Museum, 1109 Fifth Avenue