Es wird gebaut im schlesischen Gliwice, ehemals Gleiwitz, im Süden Polens. Aufwändig wird derzeit das einst prächtige, Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute jüdische Begräbnishaus instand gesetzt und zu einem Museum der oberschlesischen Juden umgewidmet. Erinnert wird in der Einrichtung vor allem an deutsche Juden – denn die Region gehörte bis zum Zweiten Weltkrieg größtenteils zum Deutschen Reich. Doch mit ihrer Ermordung durch die Nazis oder ihrer Flucht ist offenbar auch das Interesse von deutscher Seite an deren reicher Geschichte in der Industrieregion verschwunden.
Denn die Stadt Gliwice, die bislang die gesamten Baukosten von knapp zwei Millionen Euro trägt, hat auf ihre Bitten um finanzielle Unterstützung durch deutsche Institutionen keine Resonanz erhalten. »Der Stadtpräsident von Gliwice hat eine entsprechende Anfrage an einige Dutzend Organisationen und Institutionen in Deutschland und anderen Ländern gerichtet, die sich mit jüdischer Thematik befassen. Zur Frage einer finanziellen Unterstützung gab es keine einzige positive Rückmeldung«, sagt Grzegorz Krawczyk, Direktor des bestehenden Stadtmuseums, in dessen Obhut die neue Einrichtung stehen wird. Dennoch gebe es erste vorsichtige Signale etwa vom Jüdischen Museum in Berlin, bei Projekten zusammenzuarbeiten. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, diese Einrichtung zu führen, ohne deutsche Partner einzubeziehen«, sagt Krawczyk.
begräbnishaus Auf dem Außengelände des jüdischen Begräbnishauses sowie im Innern gehen die Bauarbeiten derweil voran. Das im neogotischen Stil errichtete Bauwerk, das direkt an den jüdischen Friedhof angrenzt, umfasst im Inneren rund 600 Quadratmeter Grundfläche. Ein Drittel davon wird die Dauerausstellung zur Geschichte der oberschlesischen Juden einnehmen.
In den übrigen Teilen sollen Bildungsveranstaltungen und Konzerte stattfinden, der große Hauptsaal hingegen weitgehend in seiner Ursprungsform bleiben. »Wir haben beschlossen, diesen Teil nicht umzubauen, denn er ist in sich repräsentativ und Zeuge seiner Zeit«, sagt Bozena Kubit, die Verantwortliche für das museale Konzept. Weil es sich um ein Begräbnishaus handele, »werden wir hier auch die Bräuche rund um den Tod im Judentum darstellen und Informationen über die vielen jüdischen Friedhöfe in Oberschlesien aufarbeiten«.
Die Eröffnung ist für Ende 2015 geplant – und die Vorfreude darauf ist auch bei der örtlichen jüdischen Gemeinde groß. Deren gut 100 Mitglieder sind zwar allesamt aus dem Osten des Landes in die Region zugewanderte polnische Juden. Doch der Gemeindevorsitzende Wlodzimierz Kac versucht schon seit Langem, die Geschichte der vergessenen deutschen Juden, die hier bis zum Zweiten Weltkrieg lebten, wachzuhalten.
nobelpreisträger Der ehrenamtliche Gemeindechef verweist gerne auf wichtige Persönlichkeiten, etwa auf vier jüdisch-deutsche Nobelpreisträger, die aus der Region stammten, darunter Maria Goeppert-Mayer und Otto Stern, beide Physiker. Oscar Troplowitz, in Gliwice geboren, baute in Hamburg den Beiersdorf-Konzern auf und erfand die Nivea-Creme. Und Leo Baeck war jahrelang Rabbiner im oberschlesischen Oppeln, heute Opole.
Eine wichtige Rolle bei der Initiierung des neuen Museums in Gliwice, sagt Kac, hätten polnische Privatleute und Organisationen gespielt – etwa der Verein Zikaron oder die kleine Stiftung Brama Cukermana. Doch auch er ist enttäuscht vom deutschen Desinteresse. »Es ist traurig, denn es gibt bei unterschiedlichen Jahrestagen keine Vertreter von deutscher Seite, die zum Beispiel zu den Gräbern deutsch-jüdischer Soldaten kommen würden, die im Ersten Weltkrieg fielen«, sagt Kac. Dabei hätten sich einst diese deutschen Juden mehr mit Deutschland verbunden gefühlt als mit den Juden aus dem Osten oder Russland.
renaissancestil In Gliwice indes muss man nicht lange suchen, um auf jüdische Spuren zu stoßen. Das städtische Museum, eine im Renaissancestil errichtete Villa im Zentrum der Stadt, gehörte einst dem deutsch-jüdischen Industriellen Oscar Caro. Das Team um Direktor Grzegorz Krawczyk hat bereits etliche Publikationen zum Thema der hiesigen Juden vorgelegt und Veranstaltungen organisiert.
Inzwischen, sagt der 50-Jährige, suchten immer mehr jüdische Nachfahren aus dem Ausland ihre Spuren in Gliwice und Oberschlesien. Und die Hilfe bei dieser Ahnensuche soll integraler Bestandteil der Arbeit des neuen Museums im ehemaligen Begräbnishaus werden: »Es ist unsere Pflicht gegenüber diesen Menschen. Denn es ist ihre Geschichte, genauso wie es jetzt unsere Geschichte ist«, sagt Krawczyk.