Nach dem versuchten Anschlag auf mehrere Synagogen in Chicago – mindestens zwei, wenn nicht vier Gotteshäuser – wird die Sicherheit verstärkt. Daran arbeiten nun das Department of Homeland Security, das FBI, die Chicagoer Polizei und das Secure Community Network, zusammen mit der örtlichen Dachorganisation Jewish Federation of Metropolitan Chicago. Das Secure Community Network wurde nach 9/11 von der Jewish Federations of North America und der Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations zur Terrorabwehr gegründet. In den kommenden Wochen will man erörtern, was getan werden kann. In Chicago leben laut New York Times etwa 80.000 Juden. Es geht aber nicht nur um die Sicherheit der 172 jüdischen Einrichtungen in der Stadt, sondern um die im ganzen Land.
Die Nachricht kam als Schock für viele jüdische Amerikaner: In zwei Flugzeugen aus dem Jemen sollten Pakete an Synagogen in Chicago geliefert werden. Die Pakete enthielten 300 und 400 Gramm des hochexplosiven Sprengstoffs PETN, getarnt als Tintenpatronen. Eines davon wurde bereits in den Vereinigten Arabischen Emiraten abgefangen, das andere in London. Hinter dem Anschlag soll die jemenitische Division von Al Qaida stecken.
Angst Bislang ist erst eine der beiden Synagogen bekannt, die Congregation Or Chadash am Lakeshore Drive. Das ist eine Gemeinde von schwulen, lesbischen, bi- und transsexuellen Juden, die sich ein Gebäude mit der Emmanuel Congregation teilen, einer Reformsynagoge, neben der sich ein jüdischer Kinder- und Schülerhort befindet. »Wir fragen uns, ob sich darin nicht auch die Schwulenfeindlichkeit von islamischen Extremisten zeigt«, sagt Rabbi Larry Edwards von Or Chadash. Die Gemeindemitglieder seien alle sehr erschrocken und verängstigt. »Für uns war es ein Schock«, meint auch Alison Lewin, Direktorin für Erziehung an der Emmanuel Congregation. »Aber das ist heute die Realität jüdischer Organisationen.«
Lewin sagte, man werde weder Schüler nach Hause schicken noch Kurse absagen. Viele besorgte Eltern hätten sich an sie gewandt, aber sie habe sie beruhigt. Auch alle Gottesdienste würden stattfinden. »Das Judentum lehrt uns, dass wir das Leben wählen«, sagt Lewin. »Wir haben alles für die Sicherheit unserer Kinder getan, nun muss es weitergehen.«
Um welche weitere Synagoge es sich handelt, ist nicht bekannt, aber Radio- und TV-Reporter haben über das Wochenende jedes Gotteshaus in Chicago belagert. Vermutet wird, dass es die Conservative Jewish Synagogue in Lakeview ist. Am Sonntag besuchte der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson die Synagoge, um Rabbi Michael Siegel sein Mitgefühl auszusprechen. Danach begaben sich beide zu der schwulen Synagoge – für einen konservativen Rabbiner ein ungewöhnlicher Schritt, doch Solidarität ist in diesen Tagen das wichtigste.
Obama Ob der Anschlag überhaupt den Synagogen galt, ist unklar. Nach Vermutungen des FBI ist es auch gut möglich, dass die Pakete bereits im Flugzeug explodiert wären. Der Anschlag könnte aber auch Chicago als Heimatstadt von Präsident Barack Obama zum Ziel gehabt haben, zumal dessen früherer Stabschef Rahm Emmanuel dort für das Bürgermeisteramt kandidiert.
Der Präsident hat ein Haus in Hyde Park/Kendwood. Am Tag, nachdem der Anschlag bekannt wurde, sicherten schwerbewaffnete Polizisten die Straße, in der die Obamas leben. Schräg gegenüber liegt die Synagoge KAM Isaiah Israel. Ob die Nähe zu den Obamas die Synagoge nun sicherer macht – da sind die Meinungen geteilt. »Man weiß nie, was ein paar Verrückte vorhaben«, sorgt sich Paula Berger, ein Gemeindemitglied. »Diese Synagoge dürfte nun einer Festung gleichen«, meint hingegen Michael Rothschild, ein Professor, der Sicherheitsfragen lehrt.
»Leider ist es nicht das erste Mal, dass sich die jüdische Gemeinschaft mit derartigen Sorgen beschäftigen muss«, sagte Linda Haase, Vizepräsidentin der Jewish Federation of Metropolitan Chicago. Schon im September waren ähnliche Pakete aus dem Jemen abgefangen worden, allerdings ohne Bomben – ein »Test, wie die Postzustellung funktioniert«, vermutet das FBI.
Anfang der Woche warnte Dov Hikind, der den New Yorker Bezirk Brooklyn in der Hauptstadt vertritt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch in Brooklyn etwas passiere. Er glaube nicht, dass die Polizei bei der Vielzahl von Einrichtungen für Sicherheit sorgen könne. Synagogen müssten zur Selbsthilfe greifen. Die Anti-Defamation League rief alle jüdischen Organisationen auf, ihren Posteingang stärker zu kontrollieren, besonders Pakete aus Übersee, vor allem aus Großbritannien.
Generell haben die Sicherheitsvorkehrungen in Synagogen, jüdischen Museen und Kulturzentren seit 9/11 stark zugenommen. Betonbarrieren, Metalldetektoren und strenge Einlasskontrollen sind heute die Regel. Nicht allen gefällt das. So beklagte sich der New-York-Times-Architekturkritiker David Dunlap, dass die Betonbarrieren vor der denkmalgeschützten Central Synagogue an der New Yorker Park Avenue den Eindruck vermittelten, Juden würden aus dem Stadtbild ausgegrenzt. Andererseits: Nach dem 11. September ist diese Art von Sicherheit wohl nötig.