Immer, wenn die Philadelphia Eagles, die am kommenden Sonntag (Ortszeit) in Phoenix (Arizona) auf die Kansas City Chiefs treffen, in der Kabine ihre Jerseys anziehen, folgt Eric Settle, ehemaliger Präsident der jüdischen Gemeinde Line Reform Temple in Philadelphia, demselben Ritual: Er zieht ein grünes T-Shirt an, darüber eine grüne Eagles-Fleecejacke und setzt sich eine Eagles-Baseballcap auf. Seit dem letzten Super-Bowl-Sieg der Eagles 2018 hält Settle sich an diesen Ablauf.
»Es klingt verrückt, aber so ist es mit dem Aberglauben«, erzählte Settle dem »Philadelphia Jewish Exponent«. »Da ist dieser seltsame Teil unseres Hirns, der uns suggeriert, ›es hat doch immer so geklappt, also lass uns so weitermachen‹.«
aberglauben Auch Chaim Galfand, Rabbiner an der Perelman Jewish Day School in Philadelphia, ist nicht frei von Aberglauben. Bei jedem Saisonspiel der Eagles trägt er sein Trikot. »Obwohl das Judentum Aberglauben nicht gutheißt, ist es doch voll davon«, sagte Galfand dem »Exponent«. Man muss aber als Jude nicht abergläubisch sein, um den Super Bowl, das beliebteste Sportereignis unter amerikanischen Juden, zu schätzen. Denn es gibt viele Gründe, das zu tun.
Der Super Bowl nimmt Rücksicht auf Juden und findet ausschließlich am Sonntag statt. Man kann also den Schabbat halten und am Super-Bowl-Sonntag ausgiebig feiern.
Der Super Bowl ist ein Feiertag. Juden lieben Tage ohne Arbeit, siehe Schabbat und Pessach. Noch beliebter wäre Football nur, wenn es mitten in der Woche einen freien Tag extra gäbe – den Super Bowl Tuesday etwa. Am allerbesten wäre natürlich ein dreitägiger Super-Bowl-Jontef.
guacamole Ein weiterer Grund, den Super Bowl zu mögen: Es gibt viel zu essen, sehr viel sogar! Es dauerte lange, bis wir Juden begriffen, dass es beim Super Bowl um Sport geht, und nicht darum, wer das schönste Behältnis für die Guacamole präsentiert.
Oder wie es David Kilimnick auf der religiösen jüdischen Webseite aish.com beschrieb: »Auf der letzten Super-Bowl-Party, auf der ich war, hatten die meisten Leute keine Ahnung, dass da ein Spiel lief. Sie waren einfach viel zu absorbiert von den Dips. Ich fragte später einen Freund nach dem Spielausgang – und er gab mir eine detaillierte Zug-um-Zug-Erklärung über die verschiedenen Aufstriche und wie doch der Kartoffelsalat mit dem Aufschnitt harmoniert habe.«
Der Super-Bowl-Sonntag ist ein Tag, dem man sich verpflichtet fühlen muss. Man kann getrost den Rest der Saison sausen lassen und sich trotzdem als Fan bezeichnen. Das ist ein wenig so, als ginge man das gesamte Jahr über nicht in die Synagoge, um dann an Jom Kippur zu erscheinen.
Beim Super Bowl treffen zwei Armeen aufeinander – und die Verlierer sind nicht die Juden, zumindest in den wenigsten Fällen; denn Julian Edelman, der wohl berühmteste jüdische Spieler, spielt nicht mehr und hat außerdem drei Super-Bowl-Titel gewonnen.
UNTERHALTUNG Ganz wichtig für Juden: Beim Super Bowl gibt’s die Halftime Show. Jeder Jude in den USA weiß, was die Ansage »Two Minute Warning« zwei Minuten vor der Halbzeit bedeutet: Es sind nur noch zwei Minuten zu spielen – höchste Zeit, schnell noch das Notwendigste zu erledigen, um ja nicht das Acht-Minuten-Konzert in der Pause zu verpassen. Schließlich lieben Juden Unterhaltung. Sie bejubeln die Rockband »The Who«, Paul McCartney, Bruce Springsteen und die Stones, die extra ihren Ruhestand unterbrechen, um für ein paar Minuten einige unvollständige Hits zu singen.
Auch finden Juden die Werbung beim Super Bowl witzig. Sie hat mit allem zu tun, nur nicht mit Männern, die ein Ei aus Schweinsleder durch die Gegend schmeißen.
Und last but not least: Beim Super Bowl kann man auf die Schiedsrichter schimpfen – wir Juden lieben es, zu nörgeln und unserem Missfallen Ausdruck zu verleihen. In diesem Sinne: Happy Super Bowl Sunday!