»Auf Jiddisch sagt man, der Wagen hat sich bewegt«, freut sich Fania Branzowskaja und lächelt verschmitzt. Die kleine energische Dame ist Jüdin – und eine der wenigen, die den Holocaust in Litauen überlebt haben.
Vor dem Krieg habe die jüdische Gemeinde in Vilnius sehr viel Eigentum gehabt, sagt sie. Nun wird es vom litauischen Staat kompensiert. »Der Wagen hat sich von der Stelle gerührt! Ich sag doch, ich bin eine Optimistin.«
Trotz ihrer 89 Jahre arbeitet Fania Branzowskaja immer noch in der jiddischen Bibliothek, die in der Universität der litauischen Hauptstadt Vilnius untergebracht ist. Eigene Räumlichkeiten besitzt die jüdische Gemeinde in Litauen seit der Besatzung durch die Nazis im Jahr 1941 nicht mehr.
Vor dem Krieg lebten mehr als 220.000 Juden in Litauen, »Jerusalem des Ostens« habe man Vilnius liebevoll genannt, erinnert sie sich. Branzowskaja gehörte damals dem »Geheimbund der Vereinigten Partisanen« an, der sich im Ghetto von Vilnius gegen die Nazis wehrte. Sie war damals 15 Jahre alt. »Dank meines Optimismus habe ich diese Zeit überstanden«, sagt sie.
Kampf Eine Portion Optimismus hat sicher auch im zähen Kampf um die Entschädigung von Eigentum geholfen, die die jüdische Gemeinde nun für die Gebäude erhält, die sie während der Nazizeit verloren hatte. »Allein in Vilnius standen vor dem Zweiten Weltkrieg mehr als 100 Synagogen mit integrierten Kulturzentren und Badehäusern«, erklärt die stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Faina Kukliansky.
Die Rechtsanwältin forschte jahrelang in den Archiven nach verloren gegangenem jüdischen Gemeindeeigentum und machte überall im Land Schulen, Bibliotheken, Krankenhäuser und Kinderheime aus.
Gebäude, die im Zweiten Weltkrieg von den Nazis beschlagnahmt wurden und dann in den Besitz der Sowjetrepublik Litauen übergingen. Während nach der Unabhängigkeit Litauens im Jahr 1991 alle anderen Konfessionen ihr Eigentum zurückerhielten, gab der Staat der jüdischen Ge- meinde nur zwei Synagogen wieder.
19 Jahre lang hat Faina Kukliansky für eine Entschädigung gekämpft. »Die Gemeinde konnte die Gebäude nicht zurückbekommen, weil die meisten Juden in Litauen ermordet worden waren«, sagt sie. Ob in der Hauptstadt oder in der Provinz: »Die ehemaligen Besitzer der Immobilien sind tot.«
Nun hat der Staat eingelenkt und zahlte eine Entschädigung, freut sich Faina Kukliansky. Obwohl ihr eine kleine Enttäuschung doch anzumerken ist. »Unsere Vorfahren bauten Häuser im Wert von 100 Millionen Euro und wir werden jetzt vom litauischen Staat mit nur 37 Millionen Euro entschädigt«, sagt sie.
Trotz der relativ geringen Summe gebe es aber auch viele Litauer, die der Gemeinde die Entschädigung nicht gönnen. »Weil sie selbst viel gelitten haben«, erklärt Kukliansky. Denn während der sowjetischen Herrschaft wurden Zehntausende Litauer von den Kommunisten ermordet oder in sibirische Straflager verbannt. Heute kämpfen auch die Opfer des Stalinismus um Wiedergutmachung – bisher vergeblich.
Offensive Moskau solle die Verantwortung für die sowjetischen Verbrechen übernehmen, fordert Justizminister Remigijus Simasius. Deshalb wolle er mit einem neuen Blick auf die jüdische Geschichte in Litauen in die Offensive gehen. »Unsere Vorgänger waren nicht mutig genug, über das Thema Holocaust in Litauen zu sprechen.
Denn leider gab es auch Litauer, die am Mord der Juden beteiligt waren. Das hören die Wähler nicht gerne.« Aber die jetzige Regierung habe keine falsche Rücksicht mehr nehmen wollen, sagt der Justizminister. »Jetzt können wir uns auch an Moskau wenden und Wiedergutmachung für unsere Opfer des Stalinismus fordern.«
Zukunft Eine unabhängige Stiftung wird festlegen, wofür die Entschädigung des jüdischen Gemeindeeigentums ausgegeben wird. Gezahlt wird im Laufe von zehn Jahren ab 2013.
Man wolle vor allem jüdische Kulturprojekte fördern, sagt Rechtsanwältin Kukliansky, damit jüdisches Leben in Litauen eine Zukunft hat. Eine kleinere Summe von knapp einer Million Euro sei zur Unterstützung jener Juden bestimmt, die sowohl unter den Nazis als auch unter den Kommunisten gelitten haben.
Kukliansky hat schon längst ihr nächstes Ziel im Visier: die Rückgabe von jüdischem Privateigentum. Denn leer ausgegangen seien bis heute jene Juden, die vor den Nazis fliehen konnten und nicht mehr litauische Staatsbürger sind, sagt sie. Einen Teilerfolg konnte die Rechtsanwältin bereits 2006 erzielen.
Seitdem dürfen litauische Juden in Israel auch litauische Staatsbürger werden. »Nur der Antrag auf Rückgabe von Privateigentum war mittler- weile verjährt«, sagt sie. Deshalb steht für Kukliansky jetzt der nächste Gang vor das litauische Verfassungsgericht an.