Ob in der Schule oder am Arbeitsplatz, in der Bahn oder in vermeintlich gepflegten Abendrunden – immer häufiger stoßen Juden auf Hass. Um sich über seine Erscheinungsformen und über Gegenstrategien auszutauschen, kamen am Donnerstag vergangener Woche rund 50 führende Vertreter jüdischer Gemeinden aus 22 Ländern in Berlin zusammen. Am Rande des Tiergartens, hoch oben über den Dächern der Stadt, versammelten sie sich zum 9. Europäischen Antisemitismus-Forum. Eingeladen zu dem jährlichen Treffen hatten das American Jewish Committee (AJC) und die Friedrich-Ebert-Stiftung.
Thema Zentrales Thema war in diesem Jahr unter anderem die Frage, wie sich der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien auf die jüdischen Gemeinden in Europa auswirkt. »Sollen wir mit ihnen sprechen oder nicht?«, fragt der Geschäftsführer der Föderation jüdischer Gemeinden in Tschechien, Tomas Kraus, in die Runde. Lange Zeit habe man die Frage mit großer Selbstverständlichkeit verneint, denn es sei unvorstellbar gewesen, dass Rechtspopulisten in so vielen Parlamenten oder gar in den Regierungen sitzen würden. »Doch heute haben wir genau diese Situation.« Könne man das Diktum da überhaupt noch aufrechthalten?
Noch schwieriger werde es, legt Kraus nach, wenn man sich vor Augen halte, dass etliche rechtspopulistische Parteien als Israelfreunde auftreten und der jüdische Staat, wie jeder wisse, doch auf Verbündete angewiesen sei. Sollten die jüdischen Gemeinden Europas da als eigene Einheit agieren oder lieber den Standpunkt Israels vertreten? Eine schwierige Frage.
Einer der Tischnachbarn antwortet sogleich und das durchaus mit direkten Worten. »Wir als jüdische Gemeinde haben beschlossen, jeglichen Kontakt mit den Ministern der FPÖ abzulehnen«, sagt Raimund Fastenbauer, der Generalsekretär des Bundesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich. »Unser Gemeindepräsident wird zum Beispiel nicht zum Innenminister gehen.«
Verantwortung Solomon Bali, der Vizepräsident von B’nai B’rith Sofia, pflichtet Fastenbauer bei und hebt hervor, wie wichtig es sei, dass jüdische Organisationen gerade in dieser Frage konsequent handeln. »Denn man schaut auf uns«, sagt er. »Es gehört nicht nur zu unserer Verantwortung als Juden, sondern es ist auch Teil unserer staatsbürgerlichen Verantwortung, dass wir nicht mit Rechtspopulisten sprechen, denn sie sind gefährlich – nicht nur für uns, sondern für die ganze Gesellschaft.«
Nun ist es still im Raum. Einige Teilnehmer nicken, manche wiegen leicht den Kopf hin und her, andere äußern sich laut und geben dies und jenes zu bedenken. Da meldet sich Dalia Grinfeld zu Wort, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. Mit klarer, fester Stimme wirft die junge Frau die rhetorische Frage auf: »Was würde passieren, wenn wir mit den Rechtspopulisten sprächen?« Sie lässt eine kleine Kunstpause und holt zur Antwort aus: »Sie würden uns benutzen!« Die jüdischen Gemeinden würden die undemokratische und rassistische Ideologie der Rechtspopulisten legitimieren. Damit dies nicht geschehe, dürfe man nicht einmal inoffiziell mit ihnen reden, fordert Grinfeld. Vielmehr solle man sich mit anderen Minderheiten verbünden.
Genau das hatte den Teilnehmern zuvor auch der Soziologe András Kovacs ans Herz gelegt. Er ist Professor an der Central European University in Budapest und untersucht, wie sich das Erstarken rechtspopulistischer Parteien auf die Gesellschaft auswirkt.
Kovacs rät: »Jüdische Organisationen sollten sich nicht ausschließlich mit jüdischen Problemen beschäftigen, sondern sie müssen Verbündete suchen – und das nicht nur im Ausland, sondern auch innerhalb des Landes.« Dies sei zurzeit das Wichtigste für die jüdischen Gemeinden. Denn nur so könne man den Rechtspopulisten das Handwerk legen.