Die Nachwehen des Massakers von Pittsburgh sind überall in den Vereinigten Staaten zu spüren. Während Donald Trump seine schrillen und teils rassistischen Wahlkampfparolen weiter durchs Land brüllte, kaum dass die Toten beerdigt waren, versuchte Amerikas Zivilgesellschaft, Wunden zu heilen und Gräben zuzuschütten anstatt Verwerfungen weiter zu vertiefen.
»Pitt Together: Stronger than Hate« (Pittsburgh vereint: stärker als der Hass) nennen Studenten der örtlichen Universität ihre Kampagne und setzen mit ihren blauen T-Shirts mit dem Davidstern auch optisch ein Zeichen in der Stadt.
Unter demselben Motto versammelten sich am Montag Tausende Studenten und Bürger, um für den Widerstand gegen Hass und Gewalt zu demonstrieren.
»Eure Generation hat Massaker über Massaker erleben müssen und fordert nun, dass Schluss damit sein muss. Es gibt Lösungen für die Probleme, und wir werden zusammen daran arbeiten, diese Probleme zu beseitigen«, ermutigte Pittsburghs Bürgermeister Bill Peduto die Teilnehmer der Kundgebung.
Hilfe Im ganzen Land waren die Synagogen am vergangenen Wochenende voller als sonst. Und auch die spontane Aktion muslimischer Nachbarn, die der jüdischen Gemeinde und deren Mitgliedern Hilfe angeboten und Geld gesammelt hatten, machte Schule. So gab es landesweit interreligiöse Veranstaltungen. Besonders engagiert waren dabei muslimische Verbände und Einzelpersonen wie etwa Afia Yunus, eine amerikanische Muslimin aus dem Bundesstaat New Jersey.
»Als mich die Nachricht erreichte, brach mir das Herz«, sagte die Rechtsanwältin auf einer interreligiösen Veranstaltung. »Die muslimische Gemeinschaft und ich persönlich fühlen mit euch, wir sind verletzt und stehen euch bei.«
Organisiert hatte das Treffen Rabbi Larry Sernovitz, ein Freund von Afia Yunus, der die Gemeinde Nafshenu in South Jersey leitet.
»Es ist ja schön und gut zu sagen, dass in South Jersey kein Platz für Hass ist«, sagte Sernovitz einer Zeitung in Philadelphia, »aber das hat keinerlei Bedeutung, wenn wir nichts dagegen unternehmen.« In Zeiten völliger politischer Polarisierung seien Veranstaltungen wie diese ein sichtbares Zeichen von Hoffnung – und Entschlossenheit, sich gemeinsam gegen den Hass zu stellen.
»Wir machen uns Sorgen über das steigende Risiko, dem alle Minderheiten ausgesetzt sind – Juden, Muslime, Afroamerikaner, Hispanics und andere«, sagt Eajaz Rawoof vom Vorstand der Muslim Federation of South Jersey. Und Asim Shafi, Generalsekretär der Vereinigung, ergänzt: »Es ist grässlich, was unseren Brüdern und Schwestern widerfahren ist, als sie beteten.«
Die große Solidarität der Muslime ist ein wichtiges Signal in einer Zeit, da die politische Kultur eher auf Spaltung und Partikularinteressen setzt als auf das Gemeinwohl. Sie zeigt, dass Solidarität auch in Amerikas derzeitiger Gesellschaft kein leeres Wort ist.
FACEBOOK Auch Mitgefühl ist in diesen Tagen in Amerika keine Floskel. So war es ausgerechnet ein jüdischer Intensivpfleger, der den Massenmörder Robert Bowers nach dessen Verhaftung im Krankenhaus als Erster behandelte. Der Pfleger heißt Ari Mahler und äußerte sich in einem sehr persönlichen Post auf Facebook: »Ja, ich bin der jüdische Krankenpfleger, der, von dem die Leute reden nach den Ereignissen von Pittsburgh, bei denen elf Menschen ihr Leben ließen, der Traumapfleger in der Notaufnahme, der sich um Robert Bowers kümmerte, nachdem er ›Tod allen Juden‹ gerufen hatte, während man ihn ins Krankenhaus rollte. Der jüdische Krankenpfleger, der in die Notaufnahme rannte, um dessen Leben zu retten.«
So beginnt Mahlers Post. Weiter schreibt er: »Um ehrlich zu sein, es macht mich nervös, dies zu teilen. Ich fühle mich ziemlich allein in diesem Augenblick. Die Ironie ist, dass die ganze Welt über mich spricht. Das ist nicht fair, sofern ich nicht die Chance habe, für mich zu sprechen.«
Mahler war einer von drei jüdischen Ärzten und Pflegern, die sich um Bowers kümmerten, als er am 27. Oktober mit Schussverletzungen ins Allegheny General Hospital eingeliefert wurde, nachdem er in der »Tree of Life«-Synagoge elf Menschen getötet und sich einen Schusswechsel mit der Polizei geliefert hatte. Mahler, Sohn eines Rabbiners, erwähnt in seinem Post, dass er als Kind »jede Menge Antisemitismus« erlebt habe, unter anderem Hakenkreuze und Kritzeleien, die ihn und seine Familie auf dem Weg in die Gaskammer zeigten. Er habe nie jemandem etwas über den Antisemitismus erzählt, unter dem er so sehr litt.
Der Direktor des Krankenhauses, Jeffrey Cohen, sagte der Pittsburgh Tribune Review nach dem Anschlag, der Pfleger sei in Tränen ausgebrochen, nachdem er Bowers behandelt hatte. »Ich sagte ihm, wie stolz ich auf ihn sei. Und er ging nach Hause und umarmte seine Eltern.«
Mahler schreibt weiter auf Facebook, dass er nichts Böses in Bowers Blick gesehen habe, »eher einen deutlichen Mangel an Tiefe, Intelligenz sowie einen offensichtlich hohen Grad an Verwirrtheit«. Er schildert, Bowers habe ihm gedankt, dass er ihn »gerettet hat, freundlich zu ihm war und ihn behandelt hat wie jeden anderen Patienten«.
UNRECHT Mahler verschwieg Bowers, dass er Jude ist. »Ich habe die ganze Zeit über nichts gesagt. Ich wollte, dass er Zuwendung spürte, ich entschied mich dafür, ihm gegenüber empathisch zu sein. Der beste Weg, seine Opfer zu ehren, schien mir, ihm als Jude zu zeigen, dass er unrecht hatte.«
Der Krankenpfleger verschwieg dem Mörder, dass er jüdisch ist.
Mahler schreibt, er habe aus Liebe gehandelt. »Liebe ist mächtiger als Worte, und Liebe im Angesicht des Bösen gibt anderen Hoffnung. Es ist eine Demonstration der Menschlichkeit, eine Rückbesinnung darauf, warum wir alle hier sind.«
Es sei ihm völlig egal, was Robert Bowers denkt, schreibt Mahler, »aber für euch, die ihr das lest: Liebe ist die einzige Botschaft, die ihr aufnehmen solltet.«
Bis Redaktionsschluss wurde Ari Mahlers Post von mehr als einer Viertelmillion Menschen mit einem »Like« versehen und mehr als 172.000-mal geteilt.