Am 19. Juni wird in Warschau mit Fahnen, Transparenten und lauter Musik wieder der Gleichheitsmarsch durch die Straßen ziehen. »Gleichheitsmarsch« – so heißt in Polen die Christopher-Street-Day-Parade. Auch der 19-jährige Piotr wird wieder dabei sein und die Regenbogenfahne mit dem groß aufgedruckten blauen Davidstern schwenken.
Jedes Jahr sind es mehr Mitglieder der jüdischen Gemeinden, die sich aus Solidarität mit der LGBTIQ-Community dem Marsch anschließen. Lesbisch, schwul oder transsexuell lebende Menschen werden in Polen offen diskriminiert. Seit sich immer mehr Kleinstädte zu »LGBT-« oder »LGBTIQ-freien Zonen« erklären oder eine sogenannte Familiencharta verabschieden, wehren sich auch viele Juden. Sie erinnern an die »judenfreien Städte« in Nazideutschland und warnen vor einer Wiederholung der Geschichte.
Vorgeschichte Dass die liberale Warschauer Gemeinde Ec Chaim seit dem 1. Juni einen ganzen Monat lang der schwulen und lesbischen Opfer weltweit gedenkt, zugleich aber auch deren Selbstbehauptung und neuen Stolz feiern will, hat eine Vorgeschichte. Als Lech Kaczynski 2002 Oberbürgermeister Warschaus wurde, verbot er immer wieder die friedlichen Regenbogen-Demonstrationen – absurderweise mit dem Argument, er könne die Sicherheit der Demonstranten nicht gewährleisten.
Damit schützte er vor allem die Nationalisten, die den Schwulen und Lesben oft genug »im Namen Gottes« den Krieg erklärten und sie mit Tomaten, Flaschen und Steinen attackierten. Auch Kaczynski, der 2010 als Präsident Polens bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, sah sich auf der Seite der heterosexuell »Anständigen«. Doch seine offene Diskriminierung von sexuellen Minderheiten rief immer mehr Gegner auf den Plan, auch bereits die ersten Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Polen.
Präsident Andrzej Duda hatte mit fremdenfeindlichen und homophoben Sprüchen Wahlkampf für eine zweite Amtszeit gemacht.
»Die jüdische Tradition lehrt uns, dass jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde und daher auch jedem Menschen die gleiche Ehrerbietung und Würde zukommt«, heißt es in einer rosafarbenen Erklärung von Ec Chaim auf Facebook. »Seitdem unsere liberale Gemeinde besteht, war und ist sie ein offener Ort für alle Juden – unabhängig von ihren politischen Ansichten, ihrer Herkunft oder ihren sexuellen Orientierungen.« Das in einen Regenbogen geänderte Profilbild auf Facebook solle auch nach außen zeigen, dass Ec Chaim am Monat der Gleichheit aktiv teilnimmt.
Orthodoxe Auch die jüdisch-orthodoxe Gemeinde Warschaus unterstützt seit einigen Jahren die polnische Regenbogen-Bewegung und nimmt sie immer wieder in Schutz. Vor genau einem Jahr sorgten die orthodoxen Juden Warschaus für landesweites Aufsehen, als sie öffentlich gegen die zunehmende Diskriminierung von Homosexuellen im Land protestierten.
Präsident Andrzej Duda hatte mit fremdenfeindlichen und homophoben Sprüchen Wahlkampf für eine zweite Amtszeit gemacht und über LGBTIQ gesagt: »Man versucht uns einzureden, das seien Menschen, aber das ist ganz einfach eine Ideologie.«
Kurz darauf schickte die jüdische Gemeinde ihren Protestbrief an die Medien, kritisierte offen den homophoben Wahlkampf Dudas und erklärte: »Wir Juden – Überlebende des Holocaust und deren Nachkommen – wollen und können nicht gleichgültig bleiben angesichts der entmenschlichenden Worte gegenüber den LGBTIQ-Menschen.«
protest Fast alle Medien zitierten den Protest, einige zwar mit negativem Kommentar, die meisten jedoch sehr positiv und zustimmend. Denn weiter hieß es: »Wir wehren uns gegen die Hassreden, die Vorurteile und Aggressionen. Wir wissen, dass das Entwürdigen und Entmenschlichen einer bestimmten Gruppe in der Mehrheitsgesellschaft, aber auch das Schüren einer vollkommen unbegründeten Angst vor dieser Gruppe zu unabwendbaren Tragödien und Pogromen führt.«
Die letzten Sätze verstanden viele als Appell, sich so zu verhalten wie Polens Juden: »Wir haben die Pflicht, unsere Solidarität all jenen gegenüber zu zeigen, die Opfer von Ungerechtigkeit, Stereotypen und Gewalt wurden. Wir haben das Recht, ›Nein‹ zur Diskriminierung der LGBTIQ-Personen zu sagen.«